Zeit deines Lebens
ganzen Abend gesucht.«
»Wie ich sehe, hat sich inzwischen auch Alison, die Partyplanerin, zu uns gesellt«, erwiderte sie, und ihre Stimme zitterte, obwohl sie sich sichtlich anstrengte, ruhig zu bleiben.
Lou blickte sich über die Schulter zu Alison um, die in ihrem kurzen Kleid verführerisch mit einem Weihnachtsmann tanzte.
Ruth starrte ihm fragend ins Gesicht.
»Nein, es ist nichts passiert«, sagte er, und auf einmal hatte er keine Kraft mehr. Er wollte einfach nicht mehr der Mann sein, den sie so anschaute. »Hand aufs Herz, es ist nichts passiert. Sie hat heute Abend versucht, mich rumzukriegen, aber ich habe mich nicht darauf eingelassen.«
Mit einem bitteren Lachen erwiderte Ruth: »Dass sie es versucht hat, kann ich mir allerdings sehr gut vorstellen.«
»Aber ich schwöre, ich hab nichts getan.«
»Du hast nichts getan? Nie?« Aufmerksam musterte sie sein Gesicht, und man sah ihr an, dass sie sich hasste. Man sah ihr an, wie unangenehm ihr die ganze Situation war, und man sah auch ihre Wut darüber, dass sie ihm diese Fragen stellen musste.
Lou schluckte. Er wollte sie nicht verlieren, aber er konnte auch nicht mehr lügen. »Wir haben uns geküsst. Einmal. Das war alles. Nichts weiter.« Er redete immer {290 } schneller, seine Panik wuchs. »Jetzt bin ich anders, Ruth. Ich bin … «
Aber sie hörte nicht mehr zu, sondern wandte sich ab, um ihre Tränen vor ihm zu verbergen. Mit einer schnellen Bewegung riss sie die Balkontür auf, und ein Schwall kalter Luft schlug Lou entgegen. Der Balkon war leer, denn die Raucher waren damit beschäftigt, mit den winzigen Shepherd’s Pies ihren Hunger zu stillen.
»Ruth … « Er griff nach ihrem Arm, um sie wieder hereinzuziehen.
»Lou, lass mich los, ich bin ehrlich nicht in der Stimmung, mit dir zu diskutieren«, wehrte sie ihn wütend ab.
Also folgte er ihr schließlich auf den Balkon, und sie traten ein Stück von der Tür weg, damit sie von drinnen nicht gesehen werden konnten. Ruth lehnte sich an die Brüstung und blickte auf die Stadt hinaus, Lou trat dicht hinter sie, schlang die Arme um sie und weigerte sich, sie wieder loszulassen, obgleich ihr Körper bei seiner Berührung sofort wieder ganz steif wurde.
»Bitte hilf mir, das wieder hinzukriegen«, flüsterte er, den Tränen nahe. »Bitte, Ruth, hilf mir, das wieder hinzukriegen.«
Sie seufzte, aber ihre Wut war noch lange nicht verraucht. »Lou, was zum Teufel hast du dir bloß dabei gedacht? Haben wir dir nicht alle oft genug gesagt, wie wichtig dieser Abend ist?«
»Doch, ich weiß, ich weiß«, stotterte er, und seine Gedanken überschlugen sich. »Ich hab versucht, euch allen zu beweisen, dass ich … «
»Wag es ja nicht, mich noch mal anzulügen«, fiel sie ihm ins Wort. »Wag es nicht, mich anzulügen, nachdem du mich gebeten hast, dir zu helfen. Du hast überhaupt {291 } nichts zu beweisen versucht. Du hattest schlicht die Nase voll davon, dass Marcia dich dauernd anruft, du hattest die Nase voll davon, dass sie für deinen Vater alles ganz genau richtig machen wollte, du warst zu beschäftigt –«
»O bitte, ich muss das jetzt nicht alles noch mal hören«, unterbrach er sie, und jedes Wort von ihr traf ihn wie ein Migräneanfall.
»Doch, genau das musst du hören. Du warst zu beschäftigt mit deiner Arbeit, um auch nur einen Gedanken an deinen Vater oder an Marcia erübrigen zu können. Du hast eine wildfremde Frau die Geburtstagsfeier organisieren lassen, eine Frau, die nichts, aber auch gar nichts über die siebzig Jahre weiß, die dein Vater auf dieser Welt zugebracht hat. Diese Frau dort!« Sie deutete nach drinnen, wo Alison unter dem Tisch mit dem Schokoladenfondue gerade den Limbo tanzte und dabei ihre rote Spitzenunterwäsche für jeden zur Schau stellte, der gewillt war hinzusehen. »Eine kleine Schlampe, die du wahrscheinlich gevögelt hast, während du ihr die Gästeliste diktiert hast«, stieß sie hervor.
Lou konnte es sich verkneifen, Ruth zu erklären, dass Alison eine qualifizierte Hochschulabsolventin und abgesehen von Partyplanung eine durchaus kompetente Fachkraft war – ihr Verhalten eben im Büro und bei der Feier seines Vaters war nicht gerade dazu angetan, ihre Ehre zu retten.
»Nein, ich hatte nichts mit ihr, das schwöre ich. Ich weiß, ich hab alles verbockt, und es tut mir furchtbar leid.« Inzwischen hatte er sich schon richtig ans Entschuldigen gewöhnt.
»Und wofür das alles? Für eine Beförderung? Noch mehr Arbeitsstunden am Tag, noch
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