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Zeit der Eisblueten

Zeit der Eisblueten

Titel: Zeit der Eisblueten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kitty Sewell
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»Ist er ein Freund von dir?«
    »Ja. Auf welcher Station liegt er?«
    »Falls er dir noch Geld schuldet, dann kannst du’s abschreiben«, kicherte sie und zwinkerte Hogg zu.
    »Ich möchte einfach nur kurz bei ihm vorbeischauen«, beharrte Dafydd.
    »Das geht jetzt nicht. Es ist keine Besuchszeit«, entgegnete Sheila.
    »Sie sehen, wer in diesem Krankenhaus für Ordnung sorgt, nicht wahr?«, meinte Hogg bewundernd, zuckte bis an die Ohren mit den Schultern und hob die pummeligen Handflächen zum Himmel. »Was hätte ich all diese Jahre ohne sie nur getan?« Dann entschuldigte er sich und marschierte in seiner lebhaften, zielstrebigen Art davon.
    »Er hat sich nicht geändert«, kommentierte Dafydd. Sheila stand weiterhin mit verschränkten Armen da, um seinen nächsten Schritt zu überwachen. »Er hat immer den Eindruck erweckt, alles unter Kontrolle zu haben, aber das ist nur Show, nicht wahr? Wie laufen denn die Geschäfte so mit euch beiden?«
    »Hör zu«, zischte Sheila und trat näher an ihn heran. »Halte dich von meinem Arbeitsplatz fern. Du hast hier überhaupt nichts zu suchen. Mach dir nicht die Mühe, in die Kantine zu kommen. Ich sag’s dir …«
    Der drohende Unterton in ihrer Stimme war unüberhörbar. Das erweckte Dafydds Neugier. Sie hatte keinen Grund, sich über sein Kommen und Gehen Gedanken zu machen. Und früher hatte sie sich nie darum geschert, was die Leute von ihr hielten. Auch musste sie zweifellos damit gerechnet haben, dass er nach Moose Creek kommen würde, nachdem man ihm mitgeteilt hatte, er sei eindeutig der Vater ihrer beiden Kinder. Aber es war offensichtlich, dass seine Anwesenheit in der Stadt ein tiefes Unbehagen bei ihr auslöste.
    »Wir sehen uns am Samstag«, sagte sie, »vorher nicht.« Dann wandte sie sich ab und verschwand.
    Eine halbe Stunde später rief Dafydd von Tillies Apparat aus im Krankenhaus an und fragte nach Janie. Sie freute sich, von ihm zu hören.
    »Patricia meint, da habe so ein unglaublich toller Arzt nach mir gefragt. Den Namen hatte sie vergessen, oder sie tat zumindest so. Ich hatte keine Ahnung, wer es sein könnte.«
    Dafydd lachte. »Darf dich dieser tolle Arzt irgendwann auf einen Drink einladen, oder will ihm dann ein anderer Supermann an den Kragen?«
    »Keineswegs. Eddie wird sich freuen, mich einen Abend lang los zu sein, weil er dann seine Golfschläge vorm Fernseher üben kann. Wie wär’s mit Freitagabend? Im Chipped Rock Café um acht? Wir werden etwa zwanzig Jahre älter als alle anderen sein, aber wen kümmert das schon, hm?«
    »Prima.« Er notierte es sich auf einem Stück Papier. »Ja-nie, du hast nicht zufällig die Telefonnummer von Ian? Sheila hat gesagt, dass er im Moment nicht in der Stadt ist? Stimmt das?«
    Janie schwieg ein paar Sekunden lang. »Er ist in der Hütte. Ich war vergangene Woche da, um nach ihm zu sehen. Es geht ihm ziemlich schlecht, Dafydd. Du wirst schockiert sein, wenn du ihn siehst.« Sie gab ihm Ians Telefonnummer.
    »Nur noch eins …«, sagte Dafydd.
    »Schieß los.«
    »Wann kann ich frühestens einen eurer Patienten besuchen?«
    »Hallo. Vermutlich können Sie sich nicht an mich erinnern«, sagte Dafydd zu dem verschrumpelten Mann, der in einem gestreiften Schlafanzug auf dem Bett lag. Das Einzige, woran man ihn wiedererkennen konnte, waren sein buschiger Schnurr- und Backenbart und die langen, fettigen, inzwischen fast weißen Haare.
    »Ich fress ’nen Besen«, rief O’Reilly, nachdem er die Augen geöffnet hatte. »Ich hab Ihnen doch gesagt, dass ich ein krankes Bein habe, aber Sie wollten mir das nie glauben.«
    Sein Mund glich einem runden Loch. Weder Lippen noch Zähne verwehrten den Blick auf den dahinter liegenden Krater.
    Dafydd musterte das knochige, blaue Bein, das in einem frisch vernarbten Stumpf endete. »Ja, zugegeben, das war mein Fehler … Aber Ihr Gedächtnis scheint noch völlig in Ordnung zu sein.«
    »Oh, Miss Hailey war vorhin hier und hat mich an Sie erinnert. Allerdings kommen und gehen Ärzte in dieser Stadt wie Politiker im Bordell. Ich kann mich nicht an alle erinnern, aber Sie hab ich noch ganz genau vor Augen.« Er zwinkerte lüstern, und sein verwüstetes Gesicht verzog sich zu einem breiten Grinsen.
    Die verdammte Sheila war also vor ihm zu O’Reilly gegangen. Aber wusste sie, warum Dafydd mit ihm sprechen wollte? Sie konnte es nicht wissen. Dafydd blickte um sich und bemerkte, dass die einzigen beiden anderen Männer im Raum neugierig zu O’Reillys Besucher

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