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Zeit der Eisblueten

Zeit der Eisblueten

Titel: Zeit der Eisblueten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kitty Sewell
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auffiel, waren die Augen. Das einstige Weiß war von einem dunklen, schmutzigen Gelb, eingerahmt von einem Rosarot, verdrängt worden. Die Haut um die Augen war schlaff und faltig und wies die klumpigen Fettablagerungen eines Menschen auf, der schon seit langem unter astronomisch hohen Cholesterinwerten litt. Sein Gesicht war hager und fahl, sein Haar noch immer recht lang, aber die Farbe von Heu hatte sich in die von totem Stroh verwandelt. Er sah aus wie ein Mann, der in einer dunklen Höhle gelebt hat. Sogar an seinem Geruch war etwas Modriges. Sie musterten einander.
    »Tod und Teufel – DU!«
    »Ja, ich«, sagte Dafydd und streckte ihm die Hand entgegen.
    Ian drückte sie matt, hielt sie jedoch einen Moment lang fest. »Komm rein, verdammt.«
    Das Knurren verstummte plötzlich, und ein alter Hund erhob sich, wobei er mit seinen arthritischen Hinterbeinen zu kämpfen hatte.
    »Thorn oder einer seiner Nachkommen?«
    »Ich wundere mich, dass du fragen musst … Er hasst Fremde.«
    Der räudige Schwanz des alten Hundes wedelte wild, während er Dafydds Hand ableckte. Dieser spürte einen Kloß im Hals, als er den knochigen Kopf tätschelte. »Ich kann’s nicht glauben. Er erkennt mich.«
    »Ich auch, Mann«, lachte Ian und klopfte ihm auf die Schulter. »Komm rein und trink was.«
    Der Raum war verdreckt. Hier wohnte ein Mann, dem alles gleichgültig geworden war.
    Ian goss Scotch in zwei Gläser und reichte Dafydd eines. Sie setzten sich an den Küchentisch, der mit halb gegessenen Mahlzeiten auf fettigen Papiertellern und leeren Hundefutterdosen bedeckt war. Ian bemerkte, dass Dafydd einen Blick auf die Überreste warf, und holte einen Müllsack. Dann fegte alles mit einer ausladenden Bewegung hinein und schleuderte den Sack in eine Ecke. Thorn schleppte sich mühsam dorthin und scharrte beharrlich mit seiner Pfote an der Plastikhülle.
    »Hat er Hunger?«, konnte Dafydd nicht umhin zu fragen.
    Ian zündete sich eine Zigarette an und blinzelte durch die Rauchschwaden, die über sein Gesicht hochzogen.
    »Was, zum Teufel, machst du wieder hier?«, fragte er und betonte dabei jedes einzelne Wort.
    Er war knüppeldürr, abgesehen von seinem Bauch, der unpassend aufgebläht war und wie ein Ballon aus der Höhle seines eingefallenen Rumpfes hervorsprang.
    »Du weißt also von nichts?«
    Ian schwieg einen Moment lang. Sein Gesichtsausdruck verriet nichts, und seine Augen wandten sich mit einem verwirrten oder bestürzten Flackern zur Seite. Dann lächelte er. »Du bist gekommen, um dir meinen Job zu schnappen … endlich. Hast nur auf einen günstigen Augenblick gewartet.«
    Dafydd lachte. »Hogg hat mir tatsächlich so etwas vorgeschlagen.«
    »Nein, im Ernst. Was machst du hier?«
    Dafydd hatte sich noch nicht entschieden, was er ihm anvertrauen wollte. Aber irgendjemand musste in die Gründe seiner Anwesenheit eingeweiht werden, und die geeignetste Person dafür war zweifellos Ian. Denn er kannte Sheila, und zwar sehr gut.
    »Ich erzähl’s dir, wenn du mir erzählst, was zur Hölle mit dir los ist. Du siehst hundeelend aus, und du bist nicht bei der Arbeit.«
    »Nichts Besonderes. Ich trinke zu viel … und manchmal protestiert meine Leber. Im Moment habe ich Urlaub, egal, was geredet wird. Mir stehen drei Wochen zu.«
    »Solltest du das wirklich tun?«, fragte Dafydd und zeigte auf Ians Glas. Er bereute es sofort. Ians Verhalten ging ihn nichts an, und dieser ignorierte die Frage ganz zu Recht.
    Inzwischen war es Thorn gelungen, den Plastiksack aufzureißen. Er verstreute den Inhalt über den Boden, während er an den Abfällen knabberte.
    »Hast du nicht noch irgendwo eine Dose Hundefutter?«, fragte Dafydd besorgt.
    Ian stand auf und durchstöberte die Schränke. »Ich habe tatsächlich nichts mehr«, antwortete er verärgert.
    »Ich mach dir einen Vorschlag. Da ich sehe, dass es dir gar nicht gut geht, werde ich morgen für dich ein wenig einkaufen. Du musst mir nur sagen, was du brauchst. Ich habe genug Zeit.«
    »Danke, Kumpel. Dafür wäre ich dir sehr verbunden.« Ian ließ sich schwer auf den Stuhl fallen, offenbar erschöpft von der Anstrengung. »Ich meide die Stadt inzwischen ganz. Halt’s nicht aus, wie’s da läuft.«
    »Wie läuft’s denn deiner Meinung nach?«
    »Zu viele Arschlöcher überall. Ich bin hergezogen, weil ich dem Trubel entkommen wollte. Jetzt ist die Stadt eine Zuflucht für einen ständigen Strom von Drecksgestalten geworden.« Er warf die Arme hoch. »Hast du sie nicht in den

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