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Zeit der Eisblueten

Zeit der Eisblueten

Titel: Zeit der Eisblueten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kitty Sewell
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hinschauten.
    »Hören Sie«, meinte Dafydd und beugte sich vor. »Ich werde Sie in einer Minute wieder in Ruhe lassen. Ich möchte Ihnen nur eine Frage stellen und zähle auf Ihr gutes Gedächtnis«, sagte er in der Hoffnung, die Erinnerung des Mannes könne durch Schmeichelei angeregt werden. »Ich weiß, dass es wahnsinnig lange her ist. Aber können Sie sich noch an den Abend erinnern, an dem ich mit Miss Hailey sehr spät zum Wohnwagen kam? Wir waren auf einer Weihnachtsfeier … Sie standen am Fenster und beobachteten, wie wir … herumgealbert haben.«
    »Was soll diese Quatscherei über Ihre Vergangenheit?«, fragte O’Reilly und lachte laut. »Miss Hailey hat mich dasselbe gefragt. Sie sagt, sie will vergessen, dass es passiert ist, und hat mir strikte Anweisung gegeben, nicht darüber zu reden. Tut mir leid, Kumpel.«
    Dafydd erkannte die Sinnlosigkeit seiner Bemühungen und sank, vor Frustration kochend, auf seinen Stuhl zurück. Wahrscheinlich konnte sich O’Reilly nach fast vierzehn Jahren ohnehin an gar nichts mehr erinnern, so geschädigt, wie sein Gehirn vom Alkohol war. Aber im Moment war er Dafydds einziger Bezugspunkt.
    »Ich hätte nicht gedacht, dass Sie der Typ sind, der sich von Frauen herumkommandieren lässt.«
    O’Reilly zuckte nur die Schultern.
    Dafydd beugte sich wieder vor und blickte ihn durchdringend an. »Was hat sie Ihnen denn als Gegenleistung dafür geboten, dass Sie nichts ausplaudern? Ich geb Ihnen mehr.«
    Das war der falsche Schachzug. O’Reilly sah plötzlich abweisend aus und schielte zu seinen Zimmernachbarn hinüber. »Wovon reden Sie? Hören Sie … sie hat mich gefragt, ob ich gesehen hab, wie sie in Ihren Wohnwagen gegangen ist. Ja, zur Hölle, das hab ich. Na und? Was ist das schon für eine große Sache? Alle Ärzte, die dort wohnten, haben das Gleiche getan.«
    Dafydd starrte ihn an. »Mit Shei… mit Miss Hailey?«
    »Hab ich das gesagt?«, entgegnete O’Reilly kalt. »Genau aus diesem Grund erinnere ich mich doch an die Sache. Ich war mächtig erstaunt, sie da bei Ihnen zu sehen. Ich dachte, dass sie viel zu anspruchsvoll für die dreckige, verlauste Matratze in Ihrem Rattenloch von einem Wohnwagen ist. Man braucht sie sich schließlich nur anzugucken.«
    Dafydd packte seinen Arm. »Was Sie in der Nacht gesehen haben, war keine große Sache – da haben Sie recht. Aber es hat im Auto stattgefunden, nicht wahr? Denken Sie zurück und seien Sie ehrlich, Mann. Sie ist nicht mit in meinen Wohnwagen gegangen, stimmt’s?«
    O’Reilly riss seinen Arm aus Dafydds Umklammerung. »Natürlich ist sie das. Ich hab Sie beide da reingehen sehen, so deutlich wie der helle Tag, umschlungen, als könnten Sie es gar nicht erwarten, sich die Kleider vom Leib zu reißen«, knurrte er übellaunig. »Was soll der Scheiß? Warum setzt ihr beide euch nicht zusammen und lasst gemeinsam alles Revue passieren? Denken Sie an den Spaß, den Sie dabei haben würden.« Er lachte unangenehm. »Lassen Sie mich aus dem Spiel. Ich hab meine eigenen Probleme, falls Sie das nicht gemerkt haben.«
    Dafydd überlegte, wie viel Geld es kosten würde, aber er spürte, dass ihn das nicht weiterbrachte. Angesichts ihrer Überzeugungskraft und ihres Geldes (und/oder ihrer Pillen?) betrachtete O’Reilly Sheila offensichtlich als gute Zukunftsinvestition.
    »Hiervon hängt eine Menge ab, O’Reilly. Sie könnten als Zeuge vor Gericht geladen werden.«
    Aber die Drohung mit der Justiz berührte das alte Wrack nicht im Geringsten. Und selbst wenn es dazu kommen sollte, war O’Reilly leider ein bemerkenswert guter Lügner.
    »Belästigen Sie mich bloß nicht noch mal, das sag ich Ihnen«, rief O’Reilly hinter Dafydd her, als dieser eilig die Station verließ.
    Statt Ian anzurufen, entschloss sich Dafydd, einfach zur Hütte hinauszufahren. Er hatte das Gefühl, dass Ian versuchen würde, ihm einen Besuch auszureden, und Dafydd wollte sich unbedingt selbst davon überzeugen, wie es seinem alten Freund ging. Dessen Gesundheitszustand schien von einer geheimnisvollen Wolke umgeben zu sein; niemand wollte darüber sprechen. Dafydd nahm ein Taxi und bat den Fahrer, ihn eine Stunde später wieder abzuholen.
    Das Gebäude wirkte völlig verwahrlost. Die Veranda war fast gänzlich weggebrochen, und auf dem Dach fehlten Schindeln. Ein tiefes Knurren empfing ihn, als er die morschen Stufen hinaufstieg. Das Knurren wurde stärker, als er klopfte. Nach einem Moment kam Ian an die Tür.
    Das Erste, was Dafydd an ihm

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