Zeit der Eisblueten
Bier.«
»Nein, kein Bier«, antwortete der Mann und setzte sich dennoch. »Grandpa war wild auf Alkohol, aber ich sage Ihnen, er tut dem Volk nicht gut … dem Volk der Dene.«
»Das gilt für alle Völker«, stimmte Dafydd zu. »Es ist das Lieblingsgift der Welt.«
»Für uns ist es in mehr als einer Beziehung Gift. Wir können es nicht verkraften … es passt nicht zu unseren Genen. Wie kommt es wohl, dass der weiße Mann uns völlig ausgeplündert und uns unser Land und unsere Rechte geraubt hat?«
Die unverhohlene Feindschaft gegenüber seinen eigenen Vorfahren störte Dafydd ein wenig, auch wenn er der Meinung von Bears Enkel grundsätzlich zustimmte. Der weiße Mann hatte überall gestohlen und geplündert.
»Erzählen Sie mir von Bear«, bat er. »Ich wusste, dass er nicht mehr am Leben sein konnte … aber neunundneunzig, das ist höllisch alt.«
»Stimmt«, sagte der Mann stockend. »Er war ein zäher alter Knochen. Eines Nachts ist er einfach eingeschlafen. Die Hunde ließen niemanden an ihn ran. Ich musste die verfluchten Dinger abknallen, sonst hätten wir ihn nie unter die Erde gekriegt.«
»Also hat er bis zu seinem Ende weiter da draußen in der Hütte gewohnt, wie er es immer gesagt hat?«
»Ja.«
»Erstaunlich.«
Sie verfielen in Schweigen. Bears Enkel schien sich nicht wohl zu fühlen. Dafydd fragte sich, warum der Mann sich überhaupt die Mühe gemacht hatte, ihn anzusprechen. Er war nie freundlich gewesen und hatte in keiner Weise zu erkennen gegeben, dass er die Fürsorge, die Dafydd seinem Großvater angedeihen ließ, zu würdigen wusste.
»Ich wollte nur sagen …«, begann der dicke Mann. Er blickte um sich und begann, sich von seinem Stuhl hochzuwuchten. »Der alte Mann hat Ihre Briefe bekommen und sie hoch geschätzt. Er bat mich, Ihnen etwas zu schreiben. Er hat es immer wieder gesagt, aber ich hab’s nie weiterverfolgt. Seine Augen waren nicht mehr gut, und er war nie erpicht aufs Schreiben. Ich glaub, er hat’s auch nie richtig gelernt.«
Er legte eine Pause ein, und Dafydd fragte sich, was er ihm mitzuteilen versuchte.
»Wissen Sie, worum es ging?«
»Nein. Ich hab irgendwie ein schlechtes Gewissen, weil ich mich nie darum gekümmert hab. Aber jetzt erzähl ich’s Ihnen.«
Damit glaubte er wohl, sein Versäumnis wettgemacht und die damit verbundene Bürde abgelegt zu haben. Er stand auf und ging mit einem durch die Zähne gepressten Gruß in Richtung Ausgang.
»Wie heißen Sie?«, rief Dafydd hinter ihm her. »Ich hab’s vergessen.«
»Joseph«, rief er zurück, ohne sich noch einmal umzudrehen.
Dafydd beobachtete, wie er aus der Kneipe watschelte, ohne irgendjemanden anzusehen. Seine Haltung sagte alles. Wie er am Morgen in den Moose Creek News gelesen hatte, gab es eine ziemlich große Anzahl militanter Indianer, die für ein Alkoholverbot eintraten. Die übrigen neunzig Prozent der Stadtbevölkerung hielten das für einen ungeheuren Witz. Geringe Aussichten, in der Tat.
Plötzlich empfand er eine starke Sympathie für den finsteren Mann. Einen Mann, der erlebt hatte, wie seine Kultur durch das stetige Vordringen der weißen Gefahr schrittweise vernichtet worden war. Dazu kamen der Selbstzerstörungsdrang der Ureinwohner und ihre genetische Veranlagung, die dazu geführt hatten, dass sich seine Landsleute bis zur Apathie und Betäubung betranken. Jetzt kamen auch noch Drogen hinzu. Wenn es nicht Marihuana oder Kokain waren, standen den Jugendlichen jederzeit Klebstoff und Benzin zum Schnüffeln zur Verfügung. Den einen Fuß hatten sie auf den schnellen Pfad gesetzt, einen leeren, seichten Ort der Computerspiele und des Fernsehens, den anderen auf ein weites, schönes Land mit unbeschreiblichen Reichtümern, die zu nutzen und zu achten sie verlernt hatten.
Während Dafydd durch die kalten, von strahlend gelben Lampen erleuchteten Straßen zurückging, wanderten seine Gedanken zu Sleeping Bear. Arwyn … Jones oder Jenkins. Also hatte der alte Lump doch versucht, ihm zu schreiben. Dafydd war für die äußerst spät überbrachte Nachricht dankbar. Seine Briefe hatten den alten Mann erreicht und ihm ein wenig Freude bereitet. Er dachte an ihre Reise. Die Reise, die Bear seine letzte Pilgerfahrt genannt hatte und die auch für Dafydd selbst zu einer ganz besonderen Pilgerfahrt geworden war.
So viel ihm diese Erfahrung auch gegeben hatte – anschließend war er von einer tiefen Traurigkeit erfüllt gewesen. Er hatte mehrere Briefe an die Frau mit den
Weitere Kostenlose Bücher