Zeit der Eisblueten
sich ohne sein Zutun ganz von selbst regeln. Er vertrat ein Prinzip des Lebens durch Unterlassung. Dafydds Vorschlag, er solle eine Klinik aufsuchen, lehnte er ab, oder er hatte ihn vergessen. Doch nicht nur das. Er tat das genaue Gegenteil: Sein Alkoholbedarf war wieder steil angestiegen. Und ein Umzug von der Hütte in die Stadt kam für ihn nicht in Frage.
Die Ruhe und Stille hatten für Dafydd etwas Bedrückendes. Die Hütte war einmal eine Zuflucht für ihn gewesen, aber jetzt, da Ian auch die letzten Überreste von Disziplin und einem normalem Tagesrhythmus aufgegeben hatte und nur noch pausenlos trank, hatte eine bedrohliche Atmosphäre um sich gegriffen. Es war beängstigend, einem Mann, einem Freund, dabei zuzusehen, wie er sich selbst zerstörte. Dafydd fragte sich unwillkürlich, ob er diesen Prozess nicht mit verursacht hatte. Er hatte Ian dessen derzeitige Lebensweise fraglos erleichtert, indem er ihn mit Alkohol und Drogen versorgte und seine Arbeit für ihn erledigte.
»Ich treffe die Kinder um sieben«, sagte Dafydd, um die Stille zu durchbrechen. »Wir gehen ins Kino.«
»Also macht es Sheila nichts aus, dass du dich öffentlich mit ihnen zeigst?«
»Nein. Ich glaube, sie hat’s aufgegeben. Sogar die Leute im Krankenhaus scheinen Bescheid zu wissen«, antwortete Dafydd, der schläfrig wurde. Seine Lider senkten sich zitternd.
»Ich glaube, ich sollte dich über die Blutproben informieren«, sagte Ian plötzlich.
Dafydd öffnete die Augen. »Meinst du die für den DNA-Test?«
»In Wirklichkeit habe ich sie nicht entnommen. Ich meine, ich habe ihnen das Blut nicht selbst abgenommen.«
»Nein? Wer hat es denn gemacht?«
»Das weiß ich nicht. Ich glaube, sie hat es getan. Jedenfalls hat sie mich unterschreiben lassen, dass sie von ihnen stammen.« Ian machte eine Pause und schaute in seinen Becher. »Wahrscheinlich ist es nicht wichtig, aber ich wollte es dir trotzdem sagen.«
Dafydd lehnte sich zurück und streckte seine Füße der Hitze des Ofens entgegen. »Es ist egal. An dieser Sache konnte nichts gefälscht werden. Die Tests sind in England von einem zertifizierten Labor durchgeführt worden, mit Blut, das ich selbst zur Verfügung gestellt habe. Mit was für Betrugsplänen diese Frau sonst auch aufwarten mag, das hier konnte sie nicht fälschen … leider.«
Ian nickte und tätschelte Thorn gedankenverloren den Kopf. »Ist das … noch immer … deine Meinung? Dass es ein Unglück ist?«
»Ich weiß es nicht. Ich bin völlig durcheinander. Es hat den Anschein, dass meine Ehe beendet ist. Ich glaube, meine Frau hat sich in jemand anderen verliebt. Und nun hat sie unser Haus verkauft. Gleichzeitig beginne ich zu akzeptieren, dass Mark und Miranda meine Kinder sind. Verflucht, ich scheine keinen Einfluss auf all das zu haben, was mir zustößt. Aber falls ich der Vater von Mark und Miranda bin, ist es meine Aufgabe, dafür zu sorgen, dass es ihnen gut geht. Und ich bin dazu auch bereit.«
»Dann musst Du hier bleiben. Kannst du diese armen Kinder wirklich ihr überlassen? Es ist, als würde man Lämmer einem Werwolf anvertrauen.«
Dafydd schüttelte mit geschlossenen Augen den Kopf. »Es sind zähe Kinder. Ich glaube, sie werden schon klarkommen. Sheila liebt sie auf ihre eigene bescheuerte Art, da bin ich mir sicher.«
Nun schüttelte Ian den Kopf. »Wie auch immer, sie ist eine Frau ohne jedes Gewissen. Du solltest hier sein.«
Dafydd war dem Einschlafen nahe. Seine Glieder schmerzten vor Erschöpfung. »Ich weiß«, sagte er schließlich.
»Miranda wollte dich nicht sehen«, teilte ihm Sheila mit triumphierendem Lächeln mit. »Damit bleiben nur noch du und Mark übrig.«
»Wo ist sie?«
»Sie übernachtet bei Cass.«
Sheila trug eine enge schwarze Wildlederhose und einen roten Rollkragenpullover. Das helle Rot und ihr orangefarbenes Haar passten überhaupt nicht zusammen, was Dafydd überraschte, denn sie war stets so makellos und stimmig gekleidet. Unter ihren Augen lagen dunkle Ringe, und sie trug zu viel Make-up. Ihr Gesicht war weißer als sonst. An ihren zusammengezogenen Brauen und ihrem verkrampften Kiefer ließ sich der Stress ablesen, unter dem sie stand. Offenbar wusste sie, dass sie alles andere als schön war, denn sie wirkte gequält, als er ihr Gesicht musterte.
»Ich gehe aus«, sagte sie kurz. »Also schick ihn nach Hause, wann du willst. Er hat einen Schlüssel.«
Dafydd antwortete nicht, sondern blieb nur an der Haustür stehen. Fast jeder Wortwechsel mit
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