Zeit der Eisblueten
der beste Teil.«
Sie vertieften sich in Richard Chamberlains Heimsuchungen als Ehren-Aboriginal in Australien, der die Ankunft einer Flutwelle vorhersagt. Als der Film beendet war, schalteten sie zu einem Eishockeyspiel um.
»Was ist mit deinem Großvater? Ist er tot?«, fragte Dafydd während einer Werbepause.
»Weiß nicht«, antwortete Mark, der sich gerade darauf konzentrierte, einen Niednagel abzureißen. »Ich glaube, er war Engländer wie du. Mom war zehn, als er abgehauen ist. Es hat ihn richtig enttäuscht, dass Mom ein Rotschopf war. Also hätte er mich auch gehasst«, meinte Mark achselzuckend, als wäre es völlig natürlich und gerechtfertigt, wegen seiner Haarfarbe gehasst zu werden.
Dafydd betrachtete den Jungen neben sich und wurde plötzlich von Mitgefühl überwältigt. »Und haben sie nie wieder von ihm gehört?«
»Doch, er hat Schecks geschickt, sodass Mom auf Internate gehen konnte, weil Granny nicht in ihrem Lebensstil von ihr gestört werden wollte. Aber ihr Dad wollte sie wohl genauso wenig.« Mark lachte plötzlich; es war ein hohes, unnatürliches Gewieher. »Du magst sie auch nicht, stimmt’s? Das ist okay, weil’s mir meistens genauso geht. Arme Mom. Manche Männer mögen sie trotzdem. Sie ist irgendwie hübsch trotz ihrer roten Haare.« Er sah Dafydd flehend an. »Findest du nicht?«
Dafydd zuckte zusammen, als er den Schmerz in der Stimme des Jungen hörte. »Ja. Eure Mom ist sehr hübsch. Und sie ist auch klug. Genau wie du.« Er knuffte Mark leicht an den Arm.
Sie schwiegen wieder, weil das Eishockeyspiel weiterging. In Dafydds Erinnerung blitzte eine Auseinandersetzung auf, die er vor sehr langer Zeit mit Sheila gehabt hatte. Sie hatte gesagt, Dafydd erinnere sie an jemanden – einen eingebildeten, aufgeblasenen Kotzbrocken. An jemanden, für den sie nie gut genug war …
»Ich vermute, Miranda ist dein Kind, aber ich nicht«, erklärte Mark unvermittelt.
»Ja, das hast du schon mal gesagt. Aber das ist unmöglich.«
Mark lachte spöttisch. »Guck mal in eins deiner medizinischen Bücher. Es kann passieren, wenn die Frau …«
»Ja, ich weiß«, unterbrach ihn Dafydd. Es ärgerte ihn, auf welche Weise ihn der Bursche immer herabsetzte, genau wie seine Mutter. »Aber die statistische Wahrscheinlichkeit liegt bei eins zu einer Million, möglicherweise zehn Millionen.«
Er fühlte sich albern, als er es sagte, und Mark seufzte mit resignierter Toleranz. »Wenn es dir so viel bedeutet … DAD.« Dann wandte er sich wieder dem Fernseher zu.
»Außerdem war es dein Blut, nicht Mirandas, das bewiesen hat, dass du mein Kind bist.«
Mark sagte nichts, sondern wiederholte den Trick mit den Tomaten. Dann gab er Dafydd zwei, damit der es auch versuchte. »Mom hasst dich, musst du wissen.«
»Mein Gott, Mark. Wenn man deinen Schilderungen Glauben schenkt, ist der gesamte Ort eine Brutstätte des Hasses. Kennst du irgendjemanden, der nicht alle anderen hasst oder verabscheut?«
Mark warf ihm einen kurzen Blick zu, ignorierte die Frage jedoch. »Nein, nicht so. Drück sie gleichzeitig mit der Innenseite deiner Wangen. Drück so stark, bis sie explodieren.«
»Würdest du mich in England besuchen, wenn ich zurückgehe?«
Mark hörte auf zu kauen und starrte auf seine Hände. »Ich dachte irgendwie, dass du hierbleibst … Schließlich hast du ’nen Job und alles.«
»Mein eigentlicher Job ist drüben in Wales. Ich weiß nicht, ob ich für immer hierbleiben kann.«
Mark schwieg einen Moment lang. »Na, dann verpiss dich«, sagte er und drehte sich weg. Seine schmale Brust fiel in sich zusammen, und sein Kopf, jetzt erbarmungswürdig kahl, sackte tief zwischen die Schultern. Für den Rest des Eishockeyspiels war er unerreichbar. Als es endete, schlief er fest.
Dafydd verspürte den Drang, die knochigen Schultern dieses traurigen jungen Menschen zu streicheln, um ihm ein wenig menschliche Wärme zu vermitteln. Mark war das finsterste und deprimierteste Kind, dem Dafydd je begegnet war. Das bisschen Zuneigung, das er zu bekommen schien, beschränkte sich auf Mirandas Schabernack. Ihre Knüffe, ihr Haarrubbeln und ihre unbeholfenen Umarmungen störten ihn nie. Es war undenkbar, ihn fortzuschicken und die beiden zu trennen. Er brauchte seine Schwester, und sie brauchte ihn.
Tillie klopfte an die Tür und rief seinen Namen. Langsam tauchte er aus einem tiefen, düsteren Traum auf und drang zu dem beharrlichen Geräusch vor. Sein Gehirn hatte einige Mühe, sich wieder in der
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