Zeit der Eisblueten
dem Hund auf die Knie fallen und nahm seinen schlaffen Kopf in die Arme. Thorn reagierte nicht, aber seine weisen alten Augen waren offen und blickten ins Nichts. Sie hatten alles gesehen, was sie sehen wollten. Seine Atmung war leicht wie ein Federhauch. Dafydd rieb seine Hinterbeine, und Thorn wimmerte leise.
Dafydd wusste, dass Ian Tabletten für Thorns Arthritis im Haus hatte, und ging ins Badezimmer, um nach ihnen zu suchen. Er konnte sie nirgendwo finden, aber dafür entdeckte er in einer Schachtel oben auf dem Spiegelschrank die Injektionsfläschchen. Ians Injektionsfläschchen. Dafydd starrte sie an: etwa zwanzig Fläschchen mit der schädlichen Substanz. Von Gefühlen überwältigt, ergriff er die Schachtel mit den Handgelenken, um den Inhalt auf dem Boden zu zerschmettern. Er hob sie über den Kopf und atmete für den Wurf tief ein – aber dann hielt er plötzlich inne.
Vorsichtig stellte er die Schachtel auf den Toilettendeckel. Mit seinen aufgedunsenen Fingern nahm er mehrere Injektionsfläschchen heraus. Dann suchte er nach einer Spritze. Als er keine fand, kramte er sogar im Abfall danach. Schließlich stieß er auf Ians Aktentasche, und dort, zwischen Rezeptblöcken und Medikamentenproben, lagen eine große Spritze und ein paar Nadeln. Er bemühte sich nach Kräften, nicht zu weinen, aber die Tränen liefen ihm über die Wangen, und mit seinen zur Dicke von Golfbällen angeschwollenen Fingern durchstieß er die Stopfen der Injektionsfläschchen und zog die Flüssigkeit in die Spritze, bis sie voll war.
Er legte Thorns schweren Kopf auf seinen Schoß und injizierte die Flüssigkeit bis zum letzten Tropfen in die zitternde Flanke des Hundes. Vor seinem Tod schaute Thorn noch einmal zu Dafydd auf, und sein Schwanz bewegte sich unmerklich. Kurz danach stieß er einen lauten Seufzer aus und verschied. Endlich konnte Dafydd seinen Gefühlen freien Lauf lassen, und er schluchzte, bis seine Lungen es nicht mehr ertragen konnten.
Von den drei Beamten der Royal Canadian Mounted Police kannte er Mike Dawson, den Polizeikommandanten der Stadt. Dafydd hatte ihn kürzlich wegen seines seit langem offenen Beines behandelt. Er stand kurz vor der Pensionierung, und Dafydd hatte angedeutet, seine Beschwerden seien schwerwiegend genug, um den vorzeitigen Eintritt in den Ruhestand zu rechtfertigen. Doch das lehnte Dawson rundweg ab; er war ein Mann mit Skrupeln.
Sie hatten zwei Schneemobile und einen mannslangen Schlitten mitgebracht. Unter sechs Nylonriemen lag säuberlich zusammengefaltet ein schwarzer Leichensack. Dafydd brachte es nicht über sich, sie zu warnen, dass es nicht leicht sein werde, Ians Körper in die für den schmalen Schlitten passende Form zu bringen, und er vermied es, auch nur daran zu denken, was sie tun würden, um die für den Transport erforderliche Anpassung vorzunehmen. Er bot an, ihnen den Weg zu zeigen, aber Dawson deutete auf Dafydds Hände und meinte, er gehöre sofort ins Krankenhaus. Doch Dafydd blieb in der Hütte, nachdem er den Polizisten den Weg so gut wie möglich beschrieben hatte. Die gerodete Schneise war leicht zu finden, und dahinter wies der Rucksack die Richtung.
Nachdem er Thorns Körper in Ians Decke gehüllt hatte, ging Dafydd ins Schlafzimmer und öffnete den kleinen Schrank, der als Nachttisch gedient hatte. Neben anderen Papieren und Dokumenten befanden sich sechs Umschläge darin, die in zwei von Gummibändern zusammengehaltene Stapel gebündelt waren. In einem Bündel befand sich auch ein kleines Päckchen. Beide Bündel enthielten je einen Umschlag, auf dem in großer, regelmäßiger Schrift »Dafydd« stand. Mühsam öffnete er einen davon. Er las den darin liegenden Brief langsam und sorgfältig.
Ich, Ian Brannagan, gestehe hiermit, dass ich Sheila Hailey, Oberschwester des Moose Creek Hospital, Beihilfe geleistet habe, eine betrügerische Handlung zu begehen, damit angeblich Sheila Hailey und ihrem Sohn Mark Hailey entnommenes Blut für einen DNA-Test verschickt werden konnte, um fälschlich zu beweisen, dass Dr. Dafydd Woodruff der Vater von Mark und dessen Schwester Miranda ist.
Dieses Blut wurde Ms U. Ashoona aus Black River (Nunavut) und ihrem Sohn Charlie entnommen, ohne dass sie wussten, welchem Zweck es dienen sollte. Dr. Dafydd Woodruff ist der Vater von Charlie Ashoona, eine Tatsache, von der Ms Hailey erfuhr, als der Junge Patient im Moose Creek Hospital war, was ihr die Durchführung des ausgeklügelten Betrugs ermöglichte.
Meine eigene
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