Zeit der Eisblueten
Gesichtszüge zeigten plötzlich Furcht. Er warf seinen Männern einen Blick zu, und in der offensichtlichen Sorge, das Gesicht zu verlieren, drehte er sich wieder zu Dafydd um und sagte: »Ich mache meine Arbeit, und Sie machen Ihre. Auf diese Weise treten wir einander nicht auf die Zehen.«
Er zwinkerte den Männern zu und kicherte verlegen. Aber die Männer schwiegen und stocherten weiter mit ihren Stiefeln im Staub herum. Nur der Junge lachte. Er griff in den Sack und zog mit bloßer Hand den Teil eines Fußes hervor. »Hier«, meinte er und streckte dem Vorarbeiter den blutigen Klumpen entgegen. »Sie würden ihm nicht auf die Zehen treten. Sehen Sie, ich habe sie hier drin.«
Der Vorarbeiter erbleichte entsetzt und wich zurück, wobei er fast auf dem Kies ausrutschte. Ohne ein weiteres Wort drehte er sich um und ging schnellen Schritts zu seinem Bauwagen. Jetzt grinsten und kicherten einige der Männer. Die Demütigung des Chefs bot eine gewisse Erleichterung nach dem traumatischen Unfall. Der Junge sah Dafydd selbstzufrieden an. Dafydd lächelte nickend zurück. Er fragte sich, ob das Kind wirklich schon alt genug war, um im Sägewerk zu arbeiten. Vielleicht würde er wegen seiner Unverschämtheit gefeuert werden.
Sie transportierten die grauenhafte Fracht in die Stadt. Der Fahrer des Krankenwagens war ein untersetzter Mann osteuropäischer Herkunft. Er redete endlos über die Schrecken seiner Arbeit und unterbrach sich nur, um auf einem abgenutzten Kaugummi herumzukauen und Blasen platzen zu lassen. Dafydd schaltete ab und betrachtete die brütenden Wälder zu beiden Seiten der Straße, die sich Hunderte von Kilometern ausdehnten. Wie leicht jemand darin verlorengehen konnte …
»Sie lag in einem Abflussgraben unter der Brücke – wissen Sie, die bei Mile Sixteen. Ihr Körper hatte ihn verstopft, und das Wasser überflutete die Straße. Sonst wäre sie möglicherweise nie gefunden worden.« Der Fahrer machte eine Pause, um die Wirkung seiner Erzählung zu verstärken, und sah Dafydd bedeutungsvoll an. »Der Mörder wird noch immer gesucht. Vielleicht lebt er hier in der Stadt, direkt vor unserer Nase. Sie konnten niemanden mit einem Motiv finden. Ich meine, ihr Ehemann hatte eine andere Frau, aber es lief mit gegenseitigem Einverständnis und so. Niemand hatte irgendeinen Grund, das arme Mädchen zu ermorden.«
»Schrecklich«, kommentierte Dafydd geistesabwesend. Er dachte an Bristol und daran, welch ein Glück es war, dass er mit seiner Inkompetenz niemanden getötet hatte. Er musste Hogg noch mitteilen, dass er auf keinen Fall Kinder operieren würde. Er biss sich kräftig auf die Lippe, wandte sich an den Fahrer und fragte ihn ohne jedes Interesse: »Wie lange sind Sie schon hier?«
»Ah, lassen Sie mich nachrechnen …« Der Mann verengte seine kleinen Augen und rieb sich nachdenklich das unrasierte Kinn. »Tja, das war so um ’84. Meine Alte …«
Dafydd nickte. In seiner Vorstellung setzte er die Teile des Verunglückten zusammen. Wie sollte er es machen? Sie auf einem Tisch im Krankenhauskeller in der sogenannten pathologischen Abteilung ausbreiten und sie dann wie ein gigantisches Puzzle zusammensetzen? Er richtete sich ruckartig auf, als er sich an die wartende Frau erinnerte, die den Körper identifizieren wollte. Verwandten schlechte Nachrichten zu überbringen war eine weitere Sache, der er vielleicht nicht mehr gewachsen war. Außerdem hatte ihr der Vorarbeiter nicht beschrieben, in welchem Zustand sich die Leiche ihres Mannes befand. Er würde es ihr irgendwie ausreden müssen.
»… und ich musste meine Arme um die Brust des Mannes legen und ziehen, damit Brannagan die Füße sauber abschneiden konnte. Sie hätten miterleben sollen, wie das Blut aus ihnen herausquoll, trotz Aderpresse. Es gab keine andere Möglichkeit, ihn unter dem Balken hervorzukriegen. Die Art, wie das verfixte Ding verkeilt war …«
Sheila Hailey erwartete ihn bereits auf der Treppe des Personaleingangs, als der Krankenwagen vorfuhr.
»Ich habe der verdammten Frau gesagt, dass sie den Körper nicht sehen kann, aber sie lässt sich nicht überzeugen«, erklärte sie Dafydd, während sie ausdruckslos zusah, wie der Krankenwagenfahrer die fünf Säcke nach hinten zur Kellertür trug.
»Ich werde mit ihr sprechen«, antwortete Dafydd ein wenig überrascht über Sheilas gefühlloses Verhalten. Obwohl er Sheila ein paar Tage kannte, war er immer noch nicht in der Lage, sie zu durchschauen. Sie war eine
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