Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Zeit der Eisblueten

Zeit der Eisblueten

Titel: Zeit der Eisblueten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kitty Sewell
Vom Netzwerk:
das noch mal«, befahl sie nach einer kurzen Erholung, und er tat es mit einem ebenso schnellen Ergebnis. Sie schien mehr oder weniger zufrieden mit der arbeitssparenden Rückvergütung ihrer Anstrengungen zu sein.
    »Ich glaube, wir sollten allmählich an den Aufbruch denken«, meinte sie und setzte sich auf. »Hier gibt es Bären.«
    Dafydd richtete sich ebenfalls auf und spähte alarmiert um sich. Sie lachte. »Warum glaubst du wohl, habe ich den Grill angezündet? Wegen der Pferdebremsen?«
    Schweigend zogen sie sich an und packten ihre Picknicksachen ein. Dann fuhren sie in der zunehmenden Dämmerung nach Moose Creek zurück. Sie kamen am Sägewerk vorbei, wo er nur ein paar Stunden zuvor die Überbleibsel eines Mannes in Plastiksäcke eingesammelt hatte. Und nun saß er neben einer Frau, die lebte, deren Fleisch unversehrt war und von Blut durchpulst wurde. Er befand sich an einem sehr fremden Ort und fragte sich, was diese Begegnung bedeutete. Vielleicht hegte sie einige Erwartungen und Annahmen, doch wahrscheinlich nicht. Brenda war eine emanzipierte Frau, die ihren eigenen Regungen zu folgen schien. Außerdem hatte sie ihn wohl als einen zu zurückhaltenden und unbefriedigenden Liebhaber empfunden. Wie auch immer, er war weder fähig noch bereit, sein angeschlagenes Ich irgendjemandem anzuvertrauen.

KAPITEL
5
    Cardiff, 2006
    E INE DICKE GRAUE Wolke hing über Cardiff. Dafydd warf einen prüfenden Blick zum Himmel, beugte den Kopf vor dem Nieselregen und ging zum Ärzteparkplatz, wo sein uraltes Velocette-Venom-Motorrad unpassend inmitten einer Reihe glänzender Jaguars und BMWs geparkt war. Normalerweise bereitete es ihm große Freude, die alte Kiste mitten zwischen den Erektions-Substituten zu parken, aber aus irgendeinem Grund glich seine Transportart heute einer armseligen Aussage, unreif und peinlich. Er hatte sich den größten Teils seines Lebens hindurch auf Motorrädern nassregnen lassen, aber im Moment hätte er gern darauf verzichtet.
    Er setzte seinen schüsselartigen Helm auf, machte den Reißverschluss seiner Lederjacke zu, zog seine wasserdichte Hose an, gurtete seine Aktentasche auf dem Soziussitz fest und startete die Maschine. Der Kickstarter hatte die Angewohnheit, wie ein Hammerschlag zurückzustoßen, was sein Knie der Gefahr einer frühen Arthritis aussetzte.
    »Mach schon«, knurrte Dafydd und hob die Augen. Er bemerkte, dass Ed Marshall herablassend in seine Richtung lächelte, während er seinen brandneuen Saab aufschloss und sich in dessen mit weichem Leder ausgekleidetes Inneres gleiten ließ. Zum Glück explodierte die Velocette zum Leben, und Dafydd brauste von dannen, wobei er eine blaue Rauchwolke hinter sich ließ.
    Es war Ende September, und die Tage wurden kürzer. Statt sich auf den Heimweg zu einem leeren Haus zu begeben, fuhr er ziellos zum Meer. Es hatte fast zu regnen aufgehört, als er an der Küste in Penarth parkte. Die Esplanade war verlassen, bis auf eine Frau, die sich damit abmühte, einen durchnässten und verdreckten Retriever in den hinteren Teil ihres Coupés zu stopfen. Der Hund wollte nicht, und der Kampf setzte sich fort, bis die Frau nachgab und den Hund auf den Beifahrersitz ließ. Das Rattern eines fernen Spielautomaten in einem Pub mischte sich mit dem sanften Rasseln der Kiesel, die das Meer am Ufer hochspülte.
    Er saß mit gespreizten Beinen auf dem Motorrad und sah zu, wie sich das Grau verdunkelte. Zwei mit Jugendlichen besetzte Autos hielten neben ihm. Laute Rap-Musik dröhnte durch die Scheiben, begleitet von heiserem Gebrüll und mädchenhaftem Gelächter. Er wunderte sich über ihren sträflichen Leichtsinn. Als Teenager hatte er nie Bier getrunken, Hasch geraucht oder mit Mädchen im Auto herumgeknutscht. Erst als er die medizinische Fakultät besuchte, hatte er sich einen fahrbaren Untersatz zugelegt. Er war der Traum seiner verwitweten Mutter gewesen, diszipliniert und lerneifrig. Seine Jungfräulichkeit verlor er nicht vor seinem einundzwanzigsten Lebensjahr. Später hatte er dann sein Bestes gegeben, um die verlorene Zeit wettzumachen.
    Ein Mädchen in einem der Autos bemerkte, dass er sie betrachtete, und warf ihm einen Was-glotzt-du-so-Blick zu. Sie streckte ihm die Zunge heraus und bewegte sie provozierend hin und her. Einen Moment lang war er von ihrer Verwegenheit fasziniert, aber ihre Augen hatten etwas Hartes. Dann lächelte sie, kurbelte ihr Fenster herunter und rief: »Hey du, du bist ganz schön knackig – für einen alten

Weitere Kostenlose Bücher