Zeit der Eisblueten
Knaben.« Ihre Freunde kreischten vor Gelächter.
Dafydd verstand Teenager nicht. Sie gehörten einer anderen Spezies an und schüchterten ihn ein. Er richtete die Augen wieder aufs Meer.
Er dachte an Jim Wiseman. Seine Frau war mit einem holländischen Piloten durchgebrannt und hatte Jim mit ihren drei Kindern im Teenageralter zurückgelassen. Dafydd war eines Abends zu ihm hinübergegangen, um ihm sein Mitgefühl auszusprechen. Alle möglichen Jugendlichen hingen auf den Möbeln herum, der Fernseher plärrte, auf allen Oberflächen standen Teller mit halb aufgegessenen Mahlzeiten, das Telefon war ständig besetzt. Der arme Teufel sah einer Zukunft als Alleinerziehender entgegen, aber er lebte für seine Kinder. Er liebte diese pickeligen, schlaksigen, bescheuerten Dinger. Ein Teil von Dafydd hatte sich danach gesehnt, dies zu verstehen und es ebenfalls zu erfahren, ein anderer Teil fand es unbegreiflich und erschreckend. Wie auch immer, es war nicht geschehen, und jetzt war es zu spät.
Er stieg von seinem Motorrad, durchsuchte seine Aktentasche und zog eine fast leere Flasche Glenfiddich hervor, die ihm ein dankbarer Patient geschenkt hatte. Es gab keinen Grund, nach Hause zu fahren, da sich Isabel auf einer Geschäftsreise in Glasgow befand. Ihr neuer Auftraggeber Paul Deveraux, ein außergewöhnlicher Bauunternehmer, drängte sie, hauptberuflich als Innenarchitektin für ihn zu arbeiten. Seit ein paar Wochen hielt er ihr eine Karotte vor die Nase – ein großes neues Hotel in Glasgow, das zu einer bedeutenden Kette gehörte, und Dafydd hatte sie ermutigt zu reisen. Auf diese Weise konnte sie den Knaben kennen lernen und sich darüber klar werden, ob sie ihre hart erkämpfte Unabhängigkeit aufgeben wollte.
Bei Gott, sie brauchten Abstand voneinander, zumindest bis die DNA-Bestätigung vorlag. Ihre Kälte ihm gegenüber hatte sie zu Fremden werden lassen. Ob sie seinen Beteuerungen in Sachen Sheila Hailey glaubte oder nicht, war dabei nicht ausschlaggebend. Was sie wirklich bedrückte, war das Auftauchen einer Kondomschachtel auf seinem Nachttisch. Sie hatte begriffen, dass sein Entschluss das Ergebnis monatelangen Nachdenkens war und dass er tatsächlich meinte, was er ihr in der Sturmnacht so heftig entgegengeschleudert hatte, aber die technische Umsetzung der Entscheidung war einfach zu viel für sie.
»Die wirst du nicht brauchen.«
Er hatte geschwiegen und gehofft, dass sie es nicht so meinte, wie es klang. Auch er war verärgert. Er musste nicht nur Hunderte von Pfund hinblättern, um die Behauptungen einer Verrückten aus ferner Vergangenheit zu widerlegen, sondern er wurde auch noch von seiner eigenen Frau wie etwas behandelt, das aus einem Abwasserkanal gekrochen war. Isabel hatte ihm keine Chance gegeben, über seine Gefühle zu sprechen, und sich erst recht nicht zu dem geäußert, was sie selbst empfand. Sosehr er sich auch für seine Gefühllosigkeit entschuldigte, sie zog sich einfach in ein kaltes Schweigen zurück und sprach nur, wenn es nötig war.
Verstohlen nahm er einen Schluck. Vortreffliches Zeug. Er nahm noch einen. Dann steckte er die Flasche in die Innentasche seiner Jacke. Er blickte über den Kanal, aber es herrschte dichter Nebel, und die Küste von Devon war kaum zu erkennen. Der Pier von Penarth reichte weit ins Wasser hinaus, ein anmutiges Bauwerk und offenbar schon sehr alt. Er hatte ihn nicht mehr betreten, seit er vor acht Jahren nach Cardiff gezogen war. Das schien sehr lange her zu sein.
Dafydd hatte die Stelle teils angenommen, weil sie absolut respektabel war, und teils wegen des Bedürfnisses, zu seinen Wurzeln zurückzukehren. Seine Mutter, Delyth, war in Wales geboren worden und dort aufgewachsen, aber als sie seinen Vater, einen bärbeißigen Nordländer, heiratete, war sie nach Newcastle gezogen. Erst als Dafydd 1992 beschlossen hatte, nach Moose Creek zu gehen, und ihr Mann längst gestorben war, kehrte Delyth in ihre Heimat zurück. Sie war in ein Pflegeheim in Swansea umgesiedelt und dort nicht lange nach seiner Rückkehr gestorben.
Seit seiner Heirat mit Isabel waren ihre walisischen Wurzeln ein weiterer Anreiz, in Cardiff zu bleiben. Ihre Eltern waren Italiener und betrieben ihre Eiscafés in Südwales noch immer. Damit hatten sie, ein armes Einwandererpaar, das der Krieg nach Wales verschlagen hatte, ein Riesenvermögen gemacht.
Dafydd passierte die seit langem außer Betrieb gesetzten Drehkreuze und ging den Holzsteg entlang. Ein paar Angler in
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