Zeit der Eisblueten
bringen würde. Also musste er sich in die Defensive zurückziehen. Im Zorn neigte er dazu, wirres Zeug zu reden und Schnitzer zu begehen. Manchmal benahm er sich dann geradezu dumm, und sie würde sich freuen, wenn er ihr einen weiteren Anlass bot, ihn lächerlich zu machen und bloßzustellen. Ihr Wissen um menschliche Schwächen war wirklich bewundernswert. Und obwohl die meisten Menschen sie respektierten und manche sie sogar zu mögen schienen, gehorchten ihr alle – selbst Hogg beugte sich ihrem Willen.
»Ach, kommen Sie«, rief sie ihm nach. »Lassen Sie es uns abschneiden. Je eher wir’s tun, desto eher können wir ihn wieder nach Hause schicken. Glauben Sie mir, Leute wie er können mit dem ästhetischen Aspekt des Hörapparats nichts anfangen. Es ist nur ein überflüssiges Stück Fleisch.« Sie war ihm in die Kantine nachgegangen. »Sie sind ja nun schon mal hier. Ich verspreche Ihnen, dafür zu sorgen, dass Sie am Morgen niemand anruft. Ich werde ihnen erzählen, dass Sie eine furchtbare Nacht hinter sich haben. Notfall über Notfall …«
Dafydd blieb stehen und blickte ihr in die Augen. »Was für ein gutherziges Angebot – doch nein.« Er zog sich den Parka an. »Sie machen den Eindruck, als ob Sie selbst ein paar Stunden Schönheitsschlaf gebrauchen könnten. Bis zum Morgen dann.«
»Wohl kaum«, schnauzte sie ihn an. »In ein paar Stunden gehe ich nach Hause.«
»Oh, also gut.«
Aber Sheila war nicht berechenbar. Die Härte in ihrem Gesicht schmolz, und sie neigte den Kopf. »Ich könnte ein wenig Stimulation gebrauchen«, meinte sie mit heiserer Stimme.
Dafydd spürte, wie er wieder errötete. Sie lächelte verführerisch und faltete die Arme unter den Brüsten. »Ich mach’s selbst … und Sie können mir dabei zusehen«, flüsterte sie.
Er starrte sie verwirrt an.
»Die Amputation, Sie Trottel.« Jetzt lachte sie. »Ich hab’s schon gemacht. Hogg lässt es mich oft tun.«
Sie hatte ihn erwischt, und es war ziemlich komisch. Er hätte lachen können, aber er wollte ihr die Genugtuung nicht gönnen. »Ich glaube nicht«, sagte er und ließ sie mit ihren hochgeschobenen Möpsen einfach stehen.
Dafydd verharrte auf dem Parkplatz, um die kalte Luft einzuatmen. Die Frau kannte keinerlei Skrupel. »Überflüssiges Stück Fleisch« … Er hoffte nur, dass er nie ihrer pflegerischen Obhut anvertraut sein würde. Gott weiß, was sie sonst noch alles wegschneiden würde. Am besten blieb er stets gesund und nüchtern.
Er blickte zum Nachthimmel empor, der von den scharfen weißen Nadelstichen der Sterne durchbohrt war. Im arktischen Winter setzt die Dämmerung erst spät ein. Er konnte das Nahen des Morgens an den Lichtern erkennen, die in den Häusern und Wohnwagen eingeschaltet wurden. Die Menschen erwachten und bereiteten sich auf den Tag vor. Kinder mussten in mehrere Kleiderschichten eingemummelt werden, Ehemänner enteisten ihre Transporter in den Garagen, und Ehefrauen zogen sich Schneestiefel und Parkas über, um die kurze Strecke zur Schule und zum Supermarkt zu fahren.
Der Gedanke, sich mit jemandem in Moose Creek zu treffen, war ihm nie gekommen, aber was wäre, wenn er sich in jemanden verliebte? Er hatte noch nie jemanden geliebt, nicht richtig, dessen war er sich völlig sicher. Lust – sehr oft, sogar Leidenschaft … Es hatte Katrina gegeben, seine erste Liebe. Er war viele Monate in sie vernarrt gewesen, aber das Gefühl verpuffte, als sie feststellten, dass sie keinerlei gemeinsame Interessen hatten.
Die einzige andere Frau, für die er ein intensives Gefühl empfunden hatte, war Leslie – eine Kollegin, die ihm ein Zimmer in ihrem Haus vermietet hatte, nachdem ihr Mann ausgezogen war. Sie wurden für ein Jahr zum Liebespaar und blieben anschließend gute Freunde. Sie war zwölf Jahre älter als er, aber attraktiv und anregend. Zudem war sie sehr praktisch veranlagt und außerordentlich hilfsbereit; während seines Examens war ihre Unterstützung für ihn von unschätzbarem Wert gewesen. Die Affäre war längst vorbei, als die Katastrophe mit Derek Rose passierte, aber sie erwies sich als seine einzige wirkliche Verbündete. Ja, er hatte sie sehr geliebt und tat das noch immer.
Zwei Wochen vor Weihnachten veranstalteten Charles und Shirley Bowlby eine Party. Ihnen gehörte eine Versicherungs- und Reiseagentur, und sie besaßen ein großes, bequemes Haus in einem neuen Unterbezirk am Stadtrand. Martha fuhr ihn hinaus. Unterwegs gab sie ihm ihre Anweisungen.
»Ich werde um
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