Zeit der Eisblueten
zugenommen. Ihre Jugend und Schönheit schienen schlagartig verschwunden zu sein. Er begrüßte sie und blieb unbeholfen neben ihr stehen, weil es keine weitere Sitzgelegenheit gab. Der Lärm um sie herum war ohrenbetäubend.
»Amüsieren Sie sich?«, fragte sie teilnahmslos und mit kaum zu hörender Stimme.
Er kniete sich neben sie, um mit ihr auf einer Höhe zu sein. »Wie geht es den Mädchen?«
»Sie fragen noch immer, wann er zurückkommt. Sie fragen mich jeden Tag. Es macht mich wahnsinnig. Ich weiß nicht, was ich ihnen sagen soll.«
Dafydd versuchte zu lächeln, um ihre düstere Stimmung aufzuhellen. »Sie sind Lehrerin und sprechen dauernd mit Kindern. Ich bin ziemlich überzeugt davon, dass man die Dinge beim Namen nennen sollte, selbst Kindern gegenüber.«
»Wann wird es mir nicht mehr so weh tun?«, fragte sie flehentlich und schaute ihm direkt in die Augen. Ihr Gesicht war schmerzverzerrt. »Wenn die Mädchen nicht wären, würde ich noch diese Minute zu ihm gehen.« Sie packte ihn am Ärmel und wiederholte: »Noch diese Minute!«
Plötzlich wurde ihm schwindelig. Er balancierte in der Hocke, und seine Knie ächzten. Betrunken, wie er war, konnte er nicht auf die Trauer dieser Frau eingehen. Die Party hatte ihm neuen Schwung gegeben und seine Lebensfreude geweckt, aber er hatte die ganz allein hier sitzende Elaine nicht ignorieren können.
»Ich möchte, dass Sie mich besuchen. Reden hilft«, sagte er ohne Überzeugung.
»Wir reden jetzt.« Sie starrte ihn eisig an.
»Soll ich nachschenken?« Eine Karaffe wurde über sein Glas gehalten. Dafydd drehte sich um und sah, dass Sheila neben ihnen stand. Er nickte. »Ja bitte, Sheila.« Er hatte sein Herz allen gegenüber geöffnet, und seine neu entdeckte Weihnachtsstimmung schloss beinahe auch sie ein, zumal sie klug genug war zu bemerken, dass er vor der trauernden Elaine gerettet werden wollte.
»Dafydd, da ist jemand, den Sie unbedingt kennen lernen müssen.«
Er stand auf, und Sheila ergriff seinen Ellenbogen.
»Entschuldigen Sie mich«, sagte er zu Elaine, während er fortgeführt wurde.
Sie gingen in das Familienzimmer am anderen Ende des Hauses, wo eine Party ganz anderer Art stattfand. Die Musik war laut, das Licht schummerig, und die Luft war deutlich mit Haschisch-Schwaden durchzogen. Die jüngeren Gäste hatten offensichtlich noch mehr Spaß. Sheila zog ihn in ein kleines Vestibül, wo überall Mäntel herumlagen.
»Setz dich kurz hin«, sagte sie und stieß ihn auf einen mit Mänteln bedeckten Stuhl. Sie zog einen winzigen Flakon aus ihrer Handtasche. Dafydd beobachtete überrascht, wie sie behutsam eine winzige Menge Pulver auf ihren Handrücken schüttete und es sich mit einem dünnen Silberröhrchen in die Nase zog. Dann reichte sie Dafydd den Flakon. Der schüttelte den Kopf.
»Du Moralapostel, guck nicht so geschockt«, lachte sie. »Es bleibt ganz unter uns, niemand wird dich erwischen. Schließlich ist Weihnachten, und wir sind nicht bei der Arbeit.«
Er schüttelte erneut den Kopf, konnte aber ein Lächeln nicht unterdrücken. Wer hätte das gedacht? Unsere gestrenge Oberschwester zieht sich im stillen Kämmerlein Kokain rein. Aber gut, wenn jemand die Dinge laufen lassen und entspannen musste, dann sie.
»Wo ist denn die Person, der du mich vorstellen möchtest?«, fragte er.
»Sie steht direkt vor dir.«
»Ich kenne dich bereits.«
»O nein, das tust du nicht.«
»Also gut«, lachte er. »Wie ich sehe, hast du noch mehr zu bieten, als ich begreifen könnte.«
Sie wiederholte die Aktion mit ihrem anderen Nasenloch, blinzelte und rieb sich die Nase. Es stimmte, er kannte sie überhaupt nicht, und nun sah er eine andere Seite von ihr. Die kämpferische, ganz auf ihre Arbeit konzentrierte Oberschwester, die Kollegen wie Patienten Respekt und Angst einflößte, war verschwunden. Und wenn er sie jetzt betrachtete, konnte er sich kaum vorstellen, dass sie ihn ständig einzuschüchtern versuchte. Sie war sanft wie ein Lamm. In ihrem glückseligen Rauschzustand wirkte sie jung und geradezu rührend, wie ein Teenager. Ihre großen blauen Augen blickten engelhaft, und ihre dichten roten Locken umrahmten ihr Gesicht wie ein Feuerkranz. Sie trug ein smaragdgrünes Minikleid, und ihre glatten, muskulösen Beine steckten in einer hauchdünnen Strumpfhose. Als er an ihr hinabsah, entdeckte er unter dem blassen Nylon eine Fülle von Sommersprossen auf ihren Oberschenkeln. Plötzlich fühlte er sich unbehaglich und stand auf.
Als
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