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Zeit der Eisblueten

Zeit der Eisblueten

Titel: Zeit der Eisblueten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kitty Sewell
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Sie sind gestern überhaupt nicht weg gewesen … Soll ich Ihnen nicht ein paar Eier und ein paar schöne warme Toastscheiben mit Butter machen? Ich bring’s Ihnen hoch.«
    Dafydd öffnete die Tür, und Tillie, die Brauen vor Sorge gerunzelt, schaute ihn prüfend an. »Und eine gute, starke Tasse Kaffee?«, fügte sie eifrig hinzu.
    »Ja, in Ordnung, aber nur Kaffee.«
    Dafydd rieb sich das Kinn. Es fühlte sich an wie Schmirgelpapier, und seine Augen waren so geschwollen, als hätte er die ganz Nacht hindurch geweint.
    »Fühlen Sie sich wohl?« Tillie trat einen Schritt auf ihn zu und legte ihre winzige Hand auf seinen Arm.
    »Sie sind sehr freundlich, Tillie. Ich will keine Sonderbehandlung. Morgen früh werde ich rechtzeitig da sein.« Er tätschelte die kleine Hand. »Aber der Kaffee wird meine Lebensgeister wecken. Und bitte nennen Sie mich Dafydd.«

KAPITEL
14
    D AFYDD VERBRACHTE EIN paar Tage allein, um sich auf die Situation einzustellen. Er bemühte sich, ruhig und rational zu bleiben, und hielt sich vor Augen, dass keine wirkliche Katastrophe geschehen war. Er war gesund und munter, genau wie Isabel, und bisher war nicht von Scheidung gesprochen worden. Er hatte noch immer eine Arbeitsstelle, an die er zurückkehren konnte, auch wenn ihm die Aussicht wenig attraktiv erschien. Wenn er keine andere Wahl hatte, war er jung und ft genug, diese Kinder noch viele Jahre lang zu unterstützen, zumindest finanziell. Solche Dinge passierten Männern ständig. Seine Probleme waren verhältnismäßig unbedeutend.
    Er ging viel spazieren und schlenderte auf den zahlreichen, für künftige Häuserreihen gebauten Kiesstraßen aus der Stadt hinaus. Auf großen viereckigen Feldern waren Bäume gefällt worden, um Parzellen für Behausungen zu schaffen. Er konnte nicht recht verstehen, wer derart isoliert leben wollte. Aber dann stellte er sich vor, dass sich all das zu einer netten Gegend mit Straßenlaternen und den Geräuschen von Rasenmähern oder Motorschlitten und Kinderlachen entwickelte. Hier konnte man sich unberührtes Land erschließen. Aus dieser Perspektive betrachtet, war alles möglich, wenn man nur die richtige Haltung, die notwendige Ausdauer und die geeigneten Werkzeuge besaß. Mancher würde große Opfer für die Befreiung von den Menschenmengen und die herrliche Natur vor der Haustür bringen.
    Er testete die neuen Bars. Als in einer Ecke sitzender Fremder konnte er ungehindert nachdenken und gleichzeitig die anderen beobachten und ihnen zuhören. Die Ureinwohner wurden meist pauschal als »Eingeborene« bezeichnet, obwohl sie aus unterschiedlichen Territorien stammten, unterschiedliche Gene aufwiesen und ihre Sprachen verschieden waren. Die Alten verständigten sich auf Inuktitut und Slavey, aber es gab auch ein paar Ausländer – Deutsche, Italiener und Amerikaner – sowie Frankokanadier und Leute aus dem Süden, die ihr breites Englisch sprachen. Dies war ein einzigartiger Ort, ein Schmelztiegel der Menschheit am Rand der Welt.
    Dafydd kam ein Bild der außerterrestrischen Bar in Krieg der Sterne in den Sinn, und er musste lächeln. Er war an den Rand seines normalen, sicheren kleinen Universums gestoßen worden, verbannt an einen fremden Außenposten und eines Verbrechens angeklagt, das er nicht begangen hatte. Er hatte keine Ahnung, wie lange er bleiben musste, welche Formen seine Nachforschungen annehmen würden und wie er mit allem zurechtkommen sollte. Alles erschien ihm unvertraut. Dabei war er hier gewesen, hatte hier gearbeitet und dieses Exilgefühl auch damals schon empfunden.
    Am späten Donnerstagnachmittag saß er im Golden Nugget und trank ein eiskaltes Labatts Blue, als ein Mann auf ihn zukam. Er war ein Indianer in mittleren Jahren oder älter, mit beachtlichem Übergewicht und einer griesgrämigen Miene.
    »Hallo«, sagte er und nahm seine Schirmmütze ab. »Sie werden sich nicht an mich erinnern.«
    »Um ehrlich zu sein, nein«, gestand Dafydd.
    »Sie waren ziemlich eng mit meinem Großvater befreundet, vor einiger Zeit. Einmal haben Sie ihn ins Krankenhaus gesteckt, und ich bin mir sicher, dass Sie ihm das Leben gerettet haben.«
    Dafydds Gesicht hellte sich auf. »Sie sind Sleeping Bears Enkel.« Er streckte die Hand aus, und der Mann schüttelte sie zögernd. »Darf ich fragen …«
    »Er ist vor fünf Jahren gestorben. War gerade neunundneunzig geworden.«
    »Gütiger Herr im Himmel, neunundneunzig … Wollen Sie sich nicht zu mir setzen? Ich bestelle Ihnen ein

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