Zeit der Finsternis
nehmen. Ich atmete kurz tief ein, dann entschloss ich mich, es aufzuschlagen.
Die Seiten waren zwar vergilbt, doch die akkurate Schrift war mit schwarzer Tinte geschrieben und noch sehr gut leserlich.
Ich hatte Angst, das alte Papier könnte reißen, deswegen blätterte ich die erste Seite sehr behutsam um und begann zu lesen. Das Geschriebene las sich wie ein Tagebuch.
07. März 1512
Sechs Männer, der insgesamt zehn Teilnehmer unserer Expedition in die Südsee, sind nun bereits an dieser unbekannten, heimtückischen Krankheit gestorben. Weitere drei ringen mit dem Tod. Ich habe Angst.
Das Fieber hat von meinem Körper Besitz ergriffen und mein Befinden wird mit jeder Stunde schlechter. Ich weiß nicht, ob es an den Fieberschüben liegt, doch langsam beginne ich zu glauben, dass tatsächlich der Fluch Schuld daran trägt, dass wir dem Tode geweiht sind....
08. März 1512
Es ist schlimmer geworden! Ich habe kaum noch klare Momente wie diesen. Das Bett kann ich nicht mehr verlassen. Doch ich will meine letzten Gedanken unbedingt noch zu Papier bringen. Mein Körper schreit förmlich nach Flüssigkeit, doch ich kann nichts bei mir behalten. Meine Kehle fühlt sich an, wie ein ausgedörrter See. Dazu kommen diese seltsamen Gelüste, die ich mir nicht erklären kann. Meine geliebte Emma, die mich während jedem Fieberschub an meinem Bett betreut, hat einen seltsamen Geruch an sich. Als sie sich heute Morgen beim Sticken in den Finger stach, überkam mich das Gefühl, ich müsste den Tropfen Blut von ihrer Haut lecken. Wozu treibt mich diese teuflische Krankheit nur? Ich war immer ein treusorgender Ehemann, doch nun würde ich sie am liebsten zu mir aufs Bett ziehen und jeden Tropfen ihres Blutes trinken. Langsam scheint es, als würde ich dem Wahnsinn verfallen....
09. März 1512
Etwas Seltsames ist mit mir geschehen! Heute Morgen erwachte ich völlig verwirrt im Schuppen eines Schafstalles. Meine Kleidung, mein Gesicht, die Hände - alles war voller Blut. Ich fand mich wieder inmitten blutleerer Tierkadaver. Ich habe keine Erinnerung an das, was geschehen ist, aber eines kann ich mit Sicherheit sagen - es geht mir besser! Das Fieber ist fast vollständig verschwunden und das schmerzhafte Brennen in meiner Kehle lässt etwas nach. Die letzten drei meiner Expeditionskameraden sind in den vergangenen zwei Tagen verstorben. Quälend verdurstet und ausgetrocknet. Was immer mit uns geschehen ist, es ist mit Logik nicht zu erklären. Ich habe Angst vor dem, was noch kommt...
Das Geräusch der Tür ließ mich erschrocken herumwirbeln. Ich hielt noch immer das Buch in der Hand, als ich Damian erblickte, der mich argwöhnisch betrachtete.
"Was soll das werden, Tamara?" Sein schneidender Unterton bewirkte, dass sich mir die Nackenhaare aufstellten. Ehe ich antworten konnte, stürzte er auf mich zu, riss mir das Buch aus der Hand und baute sich drohend vor mir auf.
Ich duckte mich und drängte mich an die Wand. Mein Herz hämmerte schmerzhaft gegen meinen Brustkorb. "Fass das nie wieder an, hörst du!", brüllte er und fletschte die Zähne. Ich nickte hektisch, während mir die Worte nur stotternd über die Lippen kamen: "T-t-tut mir leid, ich weiß nicht was mich dazu bewogen hat..."
Damian marschierte um den Mahagonitisch herum, riss eine Schublade auf und legte das Schriftstück behutsam hinein. Einen kurzen Moment stützte er sich auf der Tischplatte ab und schien mit den Gedanken völlig abwesend zu sein.
Ich stand immer noch bebend, an die Wand gepresst vor ihm und wagte es nicht, mich zu bewegen. Damian hob den Kopf und blickte mich über den Tisch hinweg an.
"Ich habe sie umgebracht", sagte er tonlos. "Meine Frau - in meinem Blutrausch habe ich ihr die Kehle zerfetzt. Ich bin schuld an ihrem Tod."
Ich blinzelte verwirrt, denn ich wusste nicht, warum er mir das nach seinem Wutausbruch vor ein paar Sekunden, plötzlich anvertraute. "Das...das tut mir leid.", erwiderte ich, meine Stimme war nur ein raues Flüstern.
"Das braucht es nicht. Es ist lange her." Damian sah mich direkt an und sein Tonfall verriet mir, dass er zum ersten Mal darüber sprach. Es lag tatsächlich Schmerz und Bedauern in seinen stechend grünen Augen.
"Ist...das deine Geschichte?", fragte ich ihn und spielte auf das Tagebuch an. Ich musste verrückt sein, das zu tun. Schließlich war er vor ein paar Sekunden drauf und dran, mich zu töten. Aber etwas in seinem Blick verriet mir, dass er es mir erzählen würde.
Damian nickte fast unmerklich,
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