Zeit der Finsternis
richtete sich dann aber auf, goss zwei Gläser Blut ein und reichte mir eines davon, ehe er fortfuhr.
"Es war im Sommer 1511. Ich gehörte zu einer Gruppe von zehn Leuten, die von England aus auf eine Expedition in den Pazifik aufbrachen. Wir sollten die kleineren Inseln erforschen und stießen mit unserem Segelboot nach drei Monaten auf ein, wie es auf den ersten Blick schien, unbewohntes Eiland. Doch als wir auf der Suche nach Wasser den Urwald durchquerten, entdeckten wir ein kleines Dorf mit Ureinwohnern. Sie hausten primitiv und waren nahezu unbewaffnet. Einige aus unserer Gruppe waren wirkliche Unsympathen. Aufschneider und Angeber, ich mochte sie nicht. Doch wenn man monatelang gemeinsam auf See ist, versucht man irgendwie miteinander auszukommen. Ich glaube mittlerweile, sie hatten aus Angst und Unwissenheit vor etwas Fremden gehandelt, als sie die Männer des Dorfes töteten und die Frauen vergewaltigten. Zum Schluss legten sie Feuer und brannten das ganze Dorf nieder. Als wir uns auf dem Rückweg zu unserem Schiff befanden, trat der uralte Schamane des Dorfes vor uns auf den Weg, schwenkte einen abgetrennten Affenkopf und murmelte etwas in einer uns unbekannten Sprache. Heute weiß ich, was seine Worte bedeuteten." Er machte eine Pause, blickte auf sein Glas und schwenkte das Blut darin hin und her.
"Verflucht seid ihr, in der Nacht zu wandeln auf Ewigkeit. Und ein unstillbarer Hunger wird euch begleiten, bis ihr all eure Menschlichkeit ablegt und zu Monstern werdet - denn mit Blut fängt es an und mit Blut endet es."
, zitierte er bitter und trank sein Glas mit diesen Worten in einem Zug leer.
"Du siehst also, es ist nicht nur meine Geschichte. Es ist die Geschichte von uns allen - unsere Entstehung, wenn man so will.", erklärte er und stellte sein leeres Glas ab. "An deiner Stelle würde ich trinken, bevor ich es mir anders überlege." Damian deutete auf das Glas in meiner Hand, dass ich nicht angerührt hatte. Es dauerte einen Moment, bis ich mich aus der Starre lösen konnte, mit der ich Damians Worten gelauscht hatte. Doch dann stürzte ich den gesamten Inhalt gierig in meine Kehle, schließlich wusste ich nie, wann ich das nächste Mal etwas zu trinken bekam.
"Aber jetzt genug der Plaudereien!" Damians Miene veränderte sich schlagartig. Er stand plötzlich ganz dicht vor mir und mein Körper versteifte sich unwillkürlich wieder.
Ich wagte es kaum zu atmen, als sein stechender Blick meine Augen fand und mir in jeden Winkel meiner Seele zu blicken schien.
Damian trat einen Schritt zurück, doch seine Augen blieben an mir haften.
"Es geht um Julian", begann er und ich zuckte zusammen als ich diesen Namen vernahm. "Er ist noch da drin.", erklärte er, während er mir gegen die Stirn tippte. Ich war verwirrt über seine Aussage und sah ihn fragend an. "Was meinst du damit?"
"Ich weiß, dass du jede freie Sekunde damit verbringst, an ihn zu denken. Und ich befürchte, dass wird langsam zum Problem. Ich möchte - nein, ich verlange von dir, dass du damit aufhörst!" Damians Ton verschärfte sich und langsam wurde mir bewusst, warum er auf dieses Thema zu sprechen kam.
"Er ist es, der dich daran hindert, endlich auch den letzten Rest deines alten Ichs loszulassen. Endlich deinem Instinkt nachzugeben und aus eignem Antrieb zu töten - richtig?" Seine Worte ließen mich erzittern.
Eigentlich hatte ich gehofft, dass es nicht so offensichtlich wäre und er mich nicht damit konfrontieren würde, aber Damian hatte recht. Der winzige Hoffnungsfunke, dass Julian und ich vielleicht eines Tages doch wieder vereint sein könnten, bewirkte, dass ich mich innerlich dagegen sträubte zu der mordenden Bestie zu werden, die ich schon einmal war.
Widerstrebend nickte ich.
"Ich sage es dir nur einmal, Tamara! Vergiss Julian, vergiss dein bisheriges Leben - denn, wenn du das nicht tust, werde ich deinem Angebeteten höchstpersönlich das Herz aus der Brust reißen und es vor deinen Augen verspeisen.", drang Damians zischende Stimme an mein Ohr und bewirkte, dass sich die eiskalte Faust um mein Herz noch fester zusammenzog und ich das Gefühl hatte, keine Luft mehr zu bekommen. Keuchend taumelte ich einen Schritt zurück und fasste mir an meine Brust, die sich anfühlte, als wäre ein Metallring um sie gespannt, der sich immer enger zog.
"Nein bitte", würgte ich hervor, "töte ihn nicht! Ich werde tun was du verlangst!"
Damian zog die Augenbrauen nach oben und entblößte seine Zähne zu einem Lächeln. "Dann sind wir
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