Zeit der Gespenster
»Nein.«
»Ach, Cissy.« Er drückt das Gesicht zwischen meine Brüste, und sein Atem fällt über unser Kind. »Du bist doch der Grund, warum ich es tue.«
Ruby sagt mir Bescheid, dass er wartet.
»Spencer ist drinnen«, sage ich angstvoll, als ich Gray Wolf auf unserer Veranda erblicke.
»Frag mich«, verlangt er.
Ich bin unruhig. Spencer sitzt in der Badewanne. Und ich habe so viele Fragen. »Haben Sie meine Mutter gekannt?« Als er nickt, überrascht mich das nicht.
»Wie war sie?«
Seine Augen werden weich. »Wie du.«
Ich bin an einem Ort angelangt, wo es keine Worte mehr gibt. »Mehr«, bringe ich heraus.
Und so erzählt er mir, wie sie aussah, als sie genau auf dieser Veranda stand, in diesem Haus, in dem sie aufwuchs, bevor sie meinen Vater heiratete. Er malt die Farbe ihres Haars, und sie passt zu meiner. Er erzählt mir, dass sie laut pfeifen konnte und dass ihre Kleidung immer nach Zitronen duftete. Er hatte für ihren Vater auf dem Feld gearbeitet, damals, als der Besitz noch eine richtige Farm war. Er erzählt mir, dass meine Mutter gern gelacht hat.
Er erzählt mir, dass sie sich eine Tochter wünschte, mehr als alles auf der Welt, damit sie mit ihr noch einmal aufwachsen könnte.
Ich lehne mich gegen die Hauswand und schließe die Augen. Wird mein Kind auch so viel Glück haben? Wird ihm in vielen Jahren jemand von mir erzählen?
Ich sehe Gray Wolf an. »Ich werde sterben.«
»Lia«, sagt er, »das werden wir alle.«
Plötzlich geht die Tür auf. Spencers Haar ist noch nass. »Ich hab doch gehört, dass du dich mit jemandem unterhältst«, sagt er vorwurfsvoll.
»Das ist Gray Wolf«, erkläre ich. »Ich habe ihn gerade eingestellt.«
Spencer überlegt, wieso ihm Gray Wolfs Gesicht so bekannt vorkommt … aber es wird ihm nicht einfallen. An jenem Tag auf der Straße wollte Spencer nur so schnell wie möglich einen Zigeuner loswerden. Gray Wolf hätte keinen bleibenden Eindruck hinterlassen können.
»Das Dach hier und das vom Eishaus müssen ausgebessert werden. Du hast gesagt, ich soll jemanden suchen, der das erledigt. Gray Wolf, das ist mein Mann, Professor Pike.«
Spencers Blick wandert ein letztes Mal von Gray Wolf zu mir. »Die Leiter ist in der Garage«, sagt er endlich. »Und fangen Sie mit der Dachrinne an.«
»Ja, Sir.« Gray Wolfs Miene ist ausdruckslos. Er geht auf die Garage zu, um eine Arbeit auszuführen, die er gar nicht haben wollte.
Spencer sieht ihm nach. »Wo hast du den denn aufgetrieben?«
»Über die Hardings«, lüge ich.
»Cal Harding?« Das wird Spencer überzeugen, unser Nachbar ist nämlich ein Perfektionist. »Haben sie seine Referenzen überprüft?«
»Spencer, er repariert unser Dach, mehr nicht.«
Aus der Garage ertönt Geklapper. »Der Mann gefällt mir nicht«, sagt Spencer.
»Mir aber«, erwidere ich.
Eugenik ist der wissenschaftliche Niederschlag unseres Selbsterhaltungswillens und unserer elterlichen Instinkte.
O. F. Cook: »Das Erlöschen des bäuerlichen Lebens: Wie die Vernachlässigung der Eugenik die Landwirtschaft schädigt und die Zivilisation gefährdet«, aus einer Rezension von E. R. Eastman im »Journal of Heredity«, 1928
Als Kind ging ich oft in das Büro meines Vaters in der Universität und bildete mir ein, sein wuchtiger Ledersessel wäre ein Thron und ich die Königin. Ich bildete mir ein, den Raum mit der gleichen Autorität ausfüllen zu können wie mein Vater.
Er sitzt an dem Schreibtisch und arbeitet, als ich unangemeldet eintrete. »Cissy! Das ist aber eine nette Überraschung. Was führt dich her?«
Seit ein paar Tagen ist mein Bauch zum Zerreißen gespannt. »Dein Enkelsohn wollte dich besuchen.«
Er sieht, dass mir beinahe die Tränen kommen, steht auf und nimmt meine Hand. »Sag mir, was los ist.«
Oh Gott, wo soll ich da anfangen? Schließlich bringe ich nur ein Wort heraus: »Mama«, flüstere ich.
»Sie wäre so stolz auf dich. Sie hätte dieses Baby furchtbar gern gesehen.« Er überlegt kurz. »Es ist ganz natürlich, dass du dir Sorgen machst. Aber Cissy, du bist eine andere Frau als deine Mutter, Gott hab sie selig. Du bist stärker.«
»Woher weißt du das?«
»Weil etwas von mir in dir steckt.« Er lächelt. »Vielleicht komme ich heute Nachmittag zu euch raus. Wie ich höre, habt ihr einen Zigeuner da, der ein paar Arbeiten erledigt.«
»Ja.« Ich frage mich, was Spencer ihm erzählt hat.
»Ich selbst habe noch nie einen angeheuert.« Mein Vater lehnt sich gegen den Schreibtisch. »In
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