Zeit der Hingabe
Windstoß einen Regenschwall ins Gesicht. „Darf ich wissen, wo wir hier sind?“
„Aber natürlich, meine Liebe. Das ist Pawlfrey House. Seit Generationen im Familienbesitz und alles, was vom ursprünglichen Gutsbesitz übrig geblieben ist. Die Ländereien wurden verkauft, um die Spielschulden meines Großvaters und Vaters zu begleichen. Aber niemand zeigte Interesse an dem Haus, also blieb es in der Familie.“
„Verwunderlich“, stellte Miranda trocken fest. Nicht einmal Geldverleiher und Gläubiger wollten dieses riesige alte Gemäuer haben, von dem der Putz bröckelte, aber der Skorpion hatte vor, sie hier einzusperren. „Und wo genau befinden wir uns?“
„Im Lake District, und zwar im entlegensten Winkel davon, fürchte ich. Das Haus liegt in einem schmalen Tal, von Bergen umgeben, ausgesprochen schwierig zu finden.“
„Wie schön!“, rief sie in vorgeblich atemlosem Entzücken. „Und ein so großes Haus! Ich werde mich darin ausgesprochen wohlfühlen.“
„Wie viel Wein haben Sie getrunken?“, fragte Lucien argwöhnisch.
„Reichlich“, antwortete sie honigsüß. „Wollen wir noch länger im Regen stehen, oder zeigen Sie mir mein neues Heim?“
Der Regen war stärker geworden, hatte Mirandas Umhang bereits durchnässt, und sie hoffte, dass wenigstens ein Raum in diesem Mausoleum geheizt war.
„Aber gern“, antwortete Lucien prompt, nahm sie beim Ellbogen und führte sie die Stufen hinauf. „Vorsicht! Manche Steine sind locker.“
Das Portal wurde geöffnet, und Miranda atmete erleichtert auf. Eine Frau mit einem mehrarmigen Kerzenleuchter in der Hand erwartete sie, und im Hintergrund konnte Miranda einen Lichtschein sehen. „Willkommen, Master Lucien.“ Die Frau musterte Miranda mit finsterem Blick.
„Vielen Dank, Mrs Humber. Und dies ist meine Braut. Besser gesagt, meine Zukünftige, sobald wir den Vikar aufgetrieben haben.“ Er neigte sich Miranda zu, die sich bemühte, gelassen zu bleiben. Beim Anblick des düsteren Hauses und der unfreundlichen Wirtschafterin breitete sich eisige Kälte in ihr aus, und die Ankündigung der bevorstehenden Vermählung jagte ihr einen Schauer über den Rücken. Irgendwie musste es ihr gelingen, ihn von der Heirat abzubringen.
„Oh, wie reizend!“, flötete sie in gespielter Begeisterung. „Aber Liebster, im Moment sehne mich nach einem knisternden Kaminfeuer und einer schönen Tasse heißem Tee.“ Sie wollte das Haus betreten, aber Lucien hielt sie am Arm zurück.
„Es ist zwar ein wenig verfrüht, aber wir wollen dennoch den alten Brauch nicht außer Acht lassen“, sagte er, und ehe sie sich versah, hob er sie schwungvoll auf die Arme, trug sie über die Schwelle und setzte sie in der kalten, nach Moder riechenden unbeleuchteten Halle ab.
Sie konnte ihre Überraschung nicht verbergen, was ihm nicht entging. „Mein Bein ist ziemlich kräftig, Liebste. Ich komme mit meiner Behinderung gut zurecht.“
„Wie man sieht“, brachte sie tonlos hervor. So unvermutet in seine Arme gehoben zu werden, hatte beklemmende Erinnerungen in ihr geweckt – an jene verbotenen Minuten auf seinem Schoß bei ihrer ersten Rast. Gleichzeitig wurde ihr bewusst, wie stark und dynamisch dieser Mann war.
„Ich nehme an, Sie haben einige Räume für meine Braut bewohnbar machen lassen“, sagte er in seiner samtweichen Stimme, worauf die mürrische Frau im hochgeschlossenen schwarzen Kleid und in gestärkter Haube untertänig nickte. Augenscheinlich stand sie – wie alle Frauen – unter seinem Bann. Selbst Jane hatte sich ihm in blindem Gehorsam gefügt.
„Ich habe den grünen Salon heizen lassen und auch Ihr Arbeitszimmer, Mylord. Mägde aus dem Dorf haben Ihr Schlafgemach geputzt und abgestaubt, ebenso das braune Schlafzimmer im Ostflügel.“
Er zog die Mundwinkel spöttisch hoch. „Ein ziemlich weiter Weg zum Bett meiner Gattin.“
„Ach, Liebster, mach dir deshalb keine Sorgen“, ergriff Miranda fröhlich das Wort. „Du musst nur nach mir rufen, und ich eile zu dir. Nun bitte, wo ist dieser grüne Salon? Ich friere erbärmlich.“ Sie nahm den Umhang von den Schultern und drückte ihn der missmutigen Mrs Humber in die Hände, gefolgt von Hut und Handschuhen. Die Frau sah sie mit eisiger Miene an und wirkte ebenso feindselig wie das Haus, dem sie vorstand. Von dieser Person kann ich keine Hilfe erwarten, dachte Miranda.
Lucien sah sie an, als sei sie von einem anderen Stern. „Sie können gehen, Mrs Humber. Und Tee ist eine
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