Zeit der Raben - Ein Inspektor-Rutledge-Roman
Rutledge wieder vor das Feuer und nahm seine Mahlzeit ein, ständig von Hamishs Stimme begleitet. Es war nicht zu überhören, dass er immer noch schlechter Laune war.
Nach einer Stunde ließ der Regen nach, und Rutledge humpelte zu Grace Letteridges Haus. Dort blieb er einen Moment lang stehen, um sich den Schauplatz des Zusammenstoßes von Mauer und Lastwagen anzusehen. Er war tatsächlich haarscharf davongekommen, dachte er.
Und Hamish, der eine Zeit lang geschwiegen hatte, sagte: »Vielleicht bist du nicht dem Tod von der Schippe gesprungen, aber du hättest dir sehr schwere Verletzungen zuziehen können. Dann wärst du jetzt im Krankenhaus wie dieser Constable, und die Schwestern würden dich nicht beachten.«
Rutledge lief über den Gehweg zur Haustür.
Grace Letteridge öffnete ihm, als er anklopfte, und konnte nicht verhindern, dass ihr Blick auf seinen Knöchel fiel.
»Wie ich sehe, sind Sie auf den Beinen.« Sie öffnete die Tür weiter und ermahnte ihn, den Fußabstreifer zu benutzen.
»Stimmt. Jemand hat sich um Ihre Rosen gekümmert. Ich fürchte, die Mauer wird mehr Arbeit erfordern.«
»Tja, ich hoffe durch den Regen werden die Rosenstöcke wieder
im Boden festwachsen. Doch ich werde erst im Frühjahr wissen, ob sie überlebt haben.«
»Ich werde für den Schaden aufkommen«, sagte er. »Schließlich hat mich Ihr Garten vor wesentlich schlimmeren Verletzungen bewahrt.«
»Mein armer Garten, ein solcher Jammer«, antwortete sie und führte ihn ins Wohnzimmer. »Sind Sie gekommen, um mir anzubieten, den Schaden zu bezahlen? Oder haben Sie sonst noch ein Anliegen?«
Er hatte vorgehabt, sie rundheraus zu fragen, ob ihr der Name Sandridge etwas sagte, doch während Hamish in seinem Hinterkopf murrte, hatte er entschieden, er könnte nicht sicher sein, wem Grace Letteridges Loyalität gehörte. Stattdessen legte er ihr die grobe Skizze vor, die er von der Ortschaft angefertigt hatte, und bat sie, in jedes der Kästchen, die für die Häuser standen, den dazugehörigen Namen zu schreiben.
»Warum kommen Sie damit ausgerechnet zu mir? Das hätte doch auch Mrs. Melford oder jeder andere für Sie tun können.«
»Da haben Sie wahrscheinlich recht. Andererseits wäre es mir nicht lieb, wenn sich herumspricht, womit ich mich gerade beschäftige.«
Sie nahm das Blatt Papier, faltete es auseinander und sah es finster an. »Sie zeichnen erstaunlich gut.«
»Muss sich ein Polizist beim Zeichnen ungeschickt anstellen, weil er sonst gar nicht erst genommen wird?«
Sie ging nicht darauf ein, sondern begann die Namen sämtlicher Hauseigentümer einzutragen. Er wartete geduldig und unterbrach sie nicht.
Nach zehn Minuten lehnte sie sich mit dem Bleistift zwischen ihren Zähnen zurück und blickte auf das Blatt hinunter. Dann nickte sie und reichte es Rutledge.
Er warf einen schnellen Blick darauf, da er einen ganz bestimmten Namen suchte. Aber der war nirgends zu finden.
Er sah jedoch, dass da, wo Hensleys Haus sein sollte, Freebold stand, der Name des Gemüsehändlers.
»Gehört Hensley das Haus nicht, in dem er wohnt?«, fragte er und deutete darauf.
»Vielleicht gehört es ihm ja. Constable Markham hat dort zur Miete gewohnt. Ich weiß nicht, wie die Regelung mit Constable Hensley aussieht. Eigentlich will ich es auch gar nicht wissen.«
Dann konnte Hensley also problemlos alles aufgeben und sich in Spanien oder einem anderen Land heimisch niederlassen. Das hieß auch, dass er problemlos verschwinden konnte, und keiner würde sich Sorgen um das Eigentum machen, das er zurückließ. Die Einrichtung des Hauses war bestenfalls zweckdienlich, aber von wertvollen Stücken konnte nicht die Rede sein.
Eine interessante Feststellung, stimmte ihm Hamish zu. »Aber sieh mal, wo ist die Bestechungssumme, die er entgegengenommen haben soll? Er kann sie nicht auf ein Bankkonto einzahlen, und er kann sie auch nicht an einem Ort rumliegen lassen, wo sie jeder finden kann, der zur Tür hereinkommt.«
Wenn er dieses Geld in die Finger bekäme, dachte Rutledge, hätte er vielleicht bessere Chancen, die Wahrheit aus Hensley herauszuholen.
»Ja, schon, aber das gehört nicht zu deinen Pflichten.«
Die Frage war jetzt, wie viel Bowles wusste. Und ob es ihn überhaupt interessierte.
Grace Letteridge sagte gerade: »Inspector?«
Er riss sich von seinen Überlegungen los. »Entschuldigen Sie …«
»Ich kann nicht glauben, dass es ein Unfall war. Ich meine, was gestern Abend passiert ist. Aber weshalb sollte jemand
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