Zeit der Raben - Ein Inspektor-Rutledge-Roman
Sir.«
»Damals wurde gemunkelt, Sie hätten sich dafür bezahlen lassen, dass Sie weggeschaut haben, als das Feuer ausbrach. Und jetzt wird gemunkelt, Sie wären für Emma Masons Tod verantwortlich. Wo Rauch ist …«
»Ich habe nichts dergleichen getan. Jetzt reicht es mir, ich lasse mir das nicht bieten. Ich bin ein kranker Mann. Schwester!«
Eine große, dünne Frau mit rötlichem Haar eilte herbei.
»Was haben Sie, Constable?«, fragte sie und begann das zerknitterte Bettzeug zu glätten.
»Mir ist nicht wohl, Schwester, ich muss mich ausruhen. Ich glaube, mein Fieber ist gestiegen.«
Sie legte eine Hand auf seine Stirn und wandte sich dann an Rutledge. »Ich glaube, Sie sollten gehen, Sir, wenn Sie so freundlich wären. Er darf sich jetzt nicht aufregen.«
Rutledge erhob sich, um zu gehen. Aber er blickte auf Hensleys Gesicht hinunter, auf die abgewandten Augen und die straff gespannte rote Haut, und sagte: »Wenn Sie nach Dudlington zurückkommen, werden Sie dort dann sicher sein?«
Sein Blick wandte sich Rutledge abrupt wieder zu, und etwas in diesen Augen erinnerte ihn an ein Tier, das sich in die Enge getrieben fühlt.
Schuldbewusstsein regte sich in Rutledge.
»Ich werde nicht zurückkommen«, sagte Hensley mit gepresster Stimme. »Ich habe mir überlegt, dass ich mich vorzeitig pensionieren lassen und ins Ausland gehen könnte. Es heißt, Spanien sei recht schön. Eine der Nachtschwestern hat eine Zeit lang dort gelebt, mit einem älteren Ehepaar. Ich glaube, da könnte es mir gefallen.«
»Dort wird Spanisch gesprochen, nicht Englisch, aber das ist Ihnen ja sicher bekannt.«
Mit diesen Worten wandte sich Rutledge ab und ging durch die Station zur Tür.
Als er sich noch einmal umsah, war Hensley erschöpft in seinem Bett zusammengesackt.
Die Rückfahrt nach Dudlington endete mit einem heftigen Schauer. Wind peitschte den Regen durch den Wagen. Ein Ärmel war fast bis zur Schulter durchnässt, als Rutledge in die Holly Street einbog und seinen Wagen neben dem Haus abstellte. Und Hamish, der immer noch aufgebracht war, weil er sich im Krankenhaus als gefühllos und hartherzig erwiesen hatte, sorgte dafür, dass Rutledge seinen Ärger zu spüren bekam.
Trotzdem fragte er sich, ob Hensley die Wahrheit gesagt hatte, als er behauptet hatte, eine Kopie seiner Antwort auf die Anfrage nach Sandridge in der Akte abgeheftet zu haben. Hatte er diesen Brief überhaupt jemals geschrieben? Oder hatte er lieber nicht an alten Geschichten rühren wollen?
Rutledge stieg steif aus dem Wagen. Sein Knöchel war kalt und bereitete ihm mehr Schmerzen, als er sich eingestehen wollte.
Das Haus war kühl und dunkel und abweisend. Und er verspürte, wie jedes Mal beim Eintreten, Unbehagen.
Aber es bestand kein Grund zu der Annahme, jemand sei hier gewesen. Trotzdem drehte er eine schnelle Runde und sah sich in allen Räumen flüchtig um.
Nachdem er seine nassen Sachen abgelegt und sich umgezogen
hatte, zündete er im Wohnzimmer das Kaminfeuer an, setzte sich und ließ seinen Kopf an die Stuhllehne sinken.
Hamish sagte: »Ich würde mich an deiner Stelle vorsehen.«
Rutledge erwiderte mit geschlossenen Augen: »Ich schlafe nicht.«
»Das Mädel. Mit dem Garten. Sie war hier, um sich zu entschuldigen. Du hast ihr eine schroffe Abfuhr erteilt.«
»Ja, allerdings. Ich war fast so wütend auf sie wie auf den Mistkerl im Lastwagen.«
»Du kannst froh sein, dass du diese Frau aus London nicht bei dir hattest, als der Lastwagen hinter dir her war.«
»Ich glaube nicht, dass er versucht hätte, mich zu überfahren, wenn Zeugen da gewesen wären.«
»Andererseits könnte er abgewartet haben, bis sie ihm nicht mehr im Weg war, und erst dann den Lastwagen geklaut haben.«
Rutledge rieb sich mit beiden Händen die Augen und massierte dann seine Schläfen. »Ich wüsste zu gern, warum sie mir erzählt hat, in Frith’s Wood sei mir ein Schatten gefolgt. Und was sie wirklich dort gesehen hat.« Und doch hatte er jedes Mal, wenn er sich in dieses Wäldchen begab, Blicke gespürt, die ihn beobachtet hatten. »Warum sollte sie lügen? Sie hat nichts mit diesen Vorfällen in Dudlington zu tun.«
»Du hast sie nicht nach Emma Mason gefragt.«
Er hörte jemanden an der Tür, und dann rief Mrs. Melford seinen Namen.
Er stand auf, um ins Büro zu gehen, was ihm durch seinen steifen Knöchel ziemlich schwerfiel. Dort fand er Mrs. Melford vor, die mit einem Korb in einer Hand und einem tropfenden Schirm in der anderen
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