Zeit der Raben - Ein Inspektor-Rutledge-Roman
Cain kam mit seinem Trupp von Helfern und sah ihnen zu, als sie die Gegend um die Grabstätte herum nach weiterem Beweismaterial durchstöberten.
Die Bewohner von Dudlington drängten sich in der Nähe der Kirche zusammen und beobachteten stumm das Geschehen, doch sie waren nicht gewillt, näher zu kommen.
Rutledge hatte gleich nach seiner Rückkehr an Mary Ellisons Tür geklopft, denn er war ziemlich sicher gewesen, dass sie nicht zu Bett gegangen war.
Sie öffnete ihm vollständig angekleidet, blieb stehen und starrte ihn an, während sie auf den bevorstehenden Schlag wartete.
Er sagte: »Wir haben Emma nicht gefunden. Ich weiß nicht, ob Ihnen das ein Trost ist.«
Im ersten Moment glaubte er, sie würde umfallen, denn sie wankte und hielt sich dann mit einer Hand am Türrahmen fest.
»Ich kann Ihnen nicht sagen, ob es mich tröstet. In meinem Alter bleibt einem nicht mehr viel Zeit zu hoffen.«
Der Leichnam wurde in einer Decke aus Frith’s Wood herausgetragen und nach Letherington gebracht.
Die wüstesten Vermutungen wurden angestellt, und alle erdenklichen Gerüchte wurden in Umlauf gesetzt. Mrs. Melford und Mrs. Arundel hatten eine Gelegenheit gefunden, mit Rutledge zu sprechen, und Mrs. Channing war mit betrübter Miene in Hensleys Haus erschienen.
»Ich denke, ich werde mich auf den Rückweg nach London machen«, teilte sie Rutledge mit, als sich eine Gelegenheit bot, unter vier Augen mit ihm zu reden. »Dieser Ort behagt mir nicht. Heute Morgen erscheint er mir so trostlos. Alle sind verstört wegen der Dinge, die sich in dem Wäldchen abspielen.«
»Ich habe den Pfarrer in Mrs. Ellisons Haus gehen sehen. Er ist auf Krücken gehumpelt. Ich hätte einen Eid darauf geschworen, dass ich ihre Enkelin gefunden habe. Und ich glaube, auch sie war davon überzeugt, obwohl ich ihr nichts von unserem Fund erzählt hatte.«
»Umso besser. Sie ist eine starke Frau, sie wird es verkraften. Trotzdem sind all die alten Erinnerungen wieder wach geworden, da bin ich ganz sicher.«
»Ja.«
»Wer ist der junge Mann, der mit Ihnen zusammengearbeitet hat?«
»Er ist aus London.«
Mainwaring war nach oben gegangen und hatte sich in Hensleys
Bett gelegt. Dort war er eingeschlafen und hatte sich einige Stunden nicht gerührt. Rutledge wünschte, auch er hätte diese Möglichkeit gehabt. Zwei Nächte ohne Ruhepause hatten ihn geschlaucht. Und der Knöchel, der ihn schon seit Tagen plagte, schmerzte wieder teuflisch, seit er auf dem Friedhof über den Grabstein gestolpert war.
Hamish, der in sich gekehrt und stumm war, schien ebenfalls müde zu sein.
Mrs. Channing, die nicht bei der Sache war, sagte nachdenklich: »Das entlastet Constable Hensley. Das Mädchen liegt also doch nicht in dem Wäldchen begraben. Zumindest behaupten das alle. Aber was ist aus Emma Mason geworden?«
»Ich weiß es nicht. Ich vermute, das wird nie jemand herausfinden.«
»Ich glaube nicht, dass ich mich bei der Polizeiarbeit besonders geschickt anstellen würde. Manchmal ist es grauenhaft, nicht wahr?«
»Ja, grauenhaft.«
»Ich habe mir die Freiheit herausgenommen, Tee zu kochen«, sagte sie zu ihm. »Sie finden ihn auf dem Tisch im Esszimmer.«
»Danke. Ich scheine heute Morgen keinen großen Appetit zu haben.« Er ging ins Esszimmer, schenkte sich eine Tasse Tee ein und rührte Zucker und eine Spur Milch hinein.
Sie folgte ihm und blieb mitten im Esszimmer stehen, als sei sie unsicher, was sie tun sollte. Ob sie fortgehen oder bleiben sollte. »Haben Sie sich wirklich gewünscht, diese Knochen würden dem Mädchen gehören?«
Er griff in seine Tasche und zog ein Telegramm heraus, das ihm Inspector Cain an jenem Morgen ausgehändigt hatte, während sie darauf warteten, dass seine Männer ihre makabre Arbeit im Wäldchen abschlossen.
»Ich habe einen meiner besten Männer in London gebeten, so viel wie möglich über Beatrice Ellison und ihre Tochter Emma Mason herauszufinden. Er konnte keine von beiden ausfindig
machen. Mrs. Ellison glaubt, ihre Tochter sei gestorben, als die Deutschen durch Belgien marschiert sind. Vielleicht ist es ja wahr. Aber selbst dann erklärt es noch nicht, was aus Emma geworden ist.«
Sie nahm ihm das Telegramm aus der Hand und überflog den Text. »Ja, ich verstehe. Dann war das also Ihre letzte Hoffnung. Die Leiche im Wald.«
»Sie könnte natürlich immer noch dort sein. Aber ich habe das Gefühl, dass sie nicht dort begraben ist.«
»Ich verstehe.«
Sie ging wieder ins Büro, um ihren
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