Zeit der Raben - Ein Inspektor-Rutledge-Roman
hat gewonnen.«
Dazu kam noch, dass man von den Fenstern ihrer Nachbarn auf den Garten hinter ihrem Haus blickte und sie Aufmerksamkeit auf sich gelenkt hätte, wenn sie am späten Abend oder mitten in der Nacht hinausgegangen wäre, um ihre Blumenbeete umzugraben.
Er ließ den Schein seiner Taschenlampe methodisch von links nach rechts wandern, vom Fußboden zu den Deckenbalken. Weder in den Wänden noch im Boden waren Risse oder Spalten zu sehen, die auf frühere Aktivitäten hinwiesen.
Er machte zwei Schritte und achtete sorgsam darauf, die Abdrücke seiner Schuhsohlen nicht im Staub zu hinterlassen. Dann drehte er sich um und leuchtete hinter die Treppe und dort sah er einen großen hölzernen Schrank an der Wand stehen. Die Doppeltüren waren mit einem kurzen Brett zugenagelt. Davor befand sich eine alte Zielscheibe aus Stroh, die mit einer ausgebleichten Leinwand bespannt war. Es war eine Zielscheibe von der Sorte, wie man sie auf Schießständen benutzte, wenn man sich im Bogenschießen übte.
Der Schein seiner Taschenlampe verharrte dort, während Rutledge auf sich einwirken ließ, was er vor sich sah. Als er den Schrank mit seinen Augen maß, glaubte er, es ließe sich mühelos machen, zwei beliebige Frauen, die ihm in Dudlington begegnet waren, hinter diesen Türen unterzubringen,
vorausgesetzt, sie waren nicht gerade ungewöhnlich groß oder fett.
Er ging um die Treppe herum und legte seine freie Hand auf das Brett. Es war ordentlich festgenagelt, und er würde ein Brecheisen brauchen, um es von den Schranktüren zu stemmen.
»Das ist noch lange kein Beweis«, sagte Hamish.
Rutledge beugte sich vor, um an dem winzigen Spalt zwischen den Türen zu schnuppern.
Ein modriger Geruch drang in seine Nase, durch Kräuter gemildert. Rosmarin schon mal auf alle Fälle, dachte er. Und Thymian. Was sonst noch? Lavendel, ja, genau, das war es.
Ein Aufbewahrungsort für Decken? Oder ein Sarg für Beatrice Ellison und Emma Mason?
Er stieg die Treppe wieder hinauf und trat sorgsam am äußersten Rand der Stufen auf, um das Knarren von altem Holz auf ein Mindestmaß zu beschränken. Sowie er wieder in der Küche stand, schloss er die Tür hinter sich und zog ein Taschentuch heraus, um seine Schuhsohlen abzuwischen, damit er keine staubigen Abdrücke auf dem Küchenboden hinterließ.
Er hatte auf dem Weg zur Haustür gerade das Esszimmer erreicht, als ihm auffiel, dass kein Schnarchen mehr zu hören war.
Er blieb abrupt stehen, knipste seine Taschenlampe aus und lauschte.
Auf dem oberen Treppenabsatz leuchtete Licht und wurde gleich darauf wieder schwächer, als sei jemand mit einer Lampe in der Hand am oberen Ende der Treppe vorbeigelaufen.
Rutledge blieb, wo er war, und atmete flach.
Eine Tür wurde geöffnet und wieder geschlossen.
Er glaubte, jetzt könnte er sich von der Stelle rühren, und er war schon im Wohnzimmer, als eine Stimme rief.
»Wer ist da?«
Er blieb wieder stehen, neben der hohen Standuhr an der Wand verborgen. Er war nicht sicher, ob sie ihn tatsächlich gehört hatte oder ob sie seine Anwesenheit ahnte.
Hamish schalt ihn: »Wenn sie mit der Lampe herunterkommt, besteht keine Hoffnung. Sie wird dich sehen! Und das wird in London gar keinen guten Eindruck machen.«
Rutledge dachte: Sie wird ihn hören.
Aber nach einem Moment verblasste das Licht der Lampe wieder, und es herrschte Stille im Haus.
Er blieb noch eine gute halbe Stunde neben der Uhr stehen, weil er sich nicht vom Fleck rühren wollte, für den Fall, dass sie am oberen Ende der Treppe wartete, denn von dort aus konnte sie die Haustür sehen.
Als er sicher war, dass sie sich wieder schlafen gelegt hatte, schlich er lautlos zur Haustür und öffnete sie, trat hinaus und schloss sie hinter sich.
Zum ersten Mal seit langer Zeit konnte er tief Atem holen. Die frische Luft schien in jeden Winkel seines Körpers zu dringen und ihn zu beleben.
Er bewegte sich rasch und doch leise die Treppe hinunter und trat auf die Straße hinaus. Nirgends war jemand zu sehen. Er schaute sich nach allen Richtungen um, und seine Blicke glitten über die Fenster der umliegenden Häuser, während er auf das Geräusch von Schritten lauschte. Aber nicht einmal ein Hund bellte, als er regungslos auf der Straße stand.
Er war schon auf halbem Wege zu Hensleys Haustür, als ihn etwas dazu brachte, zu den Fenstern von Emma Masons Schlafzimmer aufzublicken.
In dem Moment fiel ihm wieder ein, was Mary Ellison gesagt hatte, als er sie in der
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