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Zeit der Raben - Ein Inspektor-Rutledge-Roman

Titel: Zeit der Raben - Ein Inspektor-Rutledge-Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charles Todd Ursula Gnade
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erzählt, wo sie es hingestellt hat. Verstehen Sie, ich mache mir nichts aus Chutney, und daher habe ich dem Mädchen gesagt, sie könnte es für ihre Familie mitnehmen.«
    »Würden Sie mich zu dem Haus bringen, in dem Hillary Timmons’ Familie wohnt? Ich will dieses Glas Chutney haben, Towson.«
    »Wenn Sie wollen, werde ich sie morgen darum bitten. Mir war nicht klar, dass Sie das Zeug so gern mögen.«

    »Sie müssen mich jetzt sofort dorthin bringen!« Er war bereits aufgesprungen und stand in der Tür, um den bestürzten Geistlichen zu drängen, dass er ihm augenblicklich folgte.
    »Aber ich begreife das nicht, warum sollte Hillary es sich nicht schmecken lassen? Die Familie ist finanziell nicht gut gestellt, verstehen Sie? Es wäre mir nicht besonders lieb, sie zu bitten, mir das Chutney zurückzugeben. Das sähe ja ganz so aus, als hätte ich jemand anderen gefunden, dem ich es lieber geben möchte. Sie brauchen nur mit Mary Ellison zu reden. Ich bin sicher, dass sie Ihnen gern ein Glas davon abgibt. Dann haben Sie Ihr eigenes Chutney.«
    Und er war ebenso sicher, dass sie ihm nichts von ihrem Chutney abgeben würde. »Also gut, jetzt sehen wir erst mal nach, ob Hillary es überhaupt schon mitgenommen hat. Wenn ja, dann gehen wir auf direktem Wege zu ihr.« Er sprach mit fester Stimme, aber als Towson sich nicht von der Stelle rührte, lief er durch den Flur zur Küche. Missmutig humpelte der Pfarrer hinter ihm her.
    »Sie müssen mir sagen, was hier überhaupt los ist.«
    »Ich weiß es selbst nicht. Wo ist die Speisekammer?«, fragte Rutledge, während er die Küchentür öffnete. Dieser Raum war warm und behaglich, und ihm fiel wieder ein, wie er in Mrs. Ellisons Küche gestanden hatte und sich wie ein Eindringling in ihrer privaten Welt vorgekommen war.
    Towson ging zur Speisekammer und ließ seine Finger über Marmeladentöpfe, Honiggläser und eingemachte Pflaumen gleiten. Ein Mann, der liebend gern Süßes naschte …
    »Ah, das hier muss es sein. Vielleicht hat sie ja vergessen, es mitzunehmen. Oder sie macht sich auch nichts daraus.« Erleichtert nahm er ein kleines Glas in die Hand, das mit einem kleinen Quadrat aus weißem Leinen verschlossen war, mit einem silbernen Band darum. »Hillary hat das silberne Band erwähnt. Sie fand es so geschmackvoll.«
    »Ich kaufe ihr das edelste Chutney, das man in London auftreiben
kann, und lasse es ihr hierherschicken. Aber dieses Glas muss ich jetzt mitnehmen.«
    »Von mir aus.« Aber Towson war immer noch unschlüssig und ließ das Glas nicht aus den Augen. »Es wäre mir lieber, wenn das Mary Ellison nicht zu Ohren käme. Ich mache mir immer noch Hoffnungen auf diese fünfzig Pfund.«
    Der Pfarrer brachte Rutledge zur Tür und sah in den leichten Nieselregen hinaus, der eingesetzt hatte.
    Er sagte: »Ich bin Ihnen dankbar dafür, dass Sie mir helfen konnten, einen Teil dessen zu rekonstruieren, was an jenem Tag vorgefallen ist. Es war wie ein Loch in meinem Kopf, so müssen sich Leute fühlen, die einen epileptischen Anfall hatten. Oder einen Schlaganfall. Das ist ganz schön beängstigend, verstehen Sie?«
    »Ja, das muss es wohl sein.« In Wirklichkeit hatte es eine Zeit gegeben, in der Rutledge nicht in der Lage gewesen war, sich an das Kriegsende zu erinnern. Er hatte nicht damit gerechnet, es zu erleben. Tatsächlich war er bei den Kämpfen während der beiden letzten Kriegsjahre darauf eingestellt gewesen zu sterben. Aber dann war er nicht gestorben. Die erschreckende Erkenntnis, dass er trotz allem, was in den Schützengräben passiert war, überlebt hatte, hatte die Erinnerung an alles andere ausgelöscht. Das Schuldbewusstsein des Überlebenden, wenn um ihn herum so viele gestorben waren, war unerträglich.
    Seine Männer waren an jenem Tag anfangs ebenso schockiert gewesen wie er, und die Stille war überwältigend, als die Gewehre, die den ganzen Morgen Schüsse abgegeben hatten, den Sturmangriff einstellten. Und dann hatte weder Jubel noch Erleichterung eingesetzt, nur eine Form von Betäubung, die sich allmählich mit dem Wissen erfüllte, dass sie jetzt nach Hause gehen konnten. Rutledge hatte ihnen die Befehle erteilt, die zu erteilen man ihm befohlen hatte, hatte für ihre Sicherheit gesorgt - und anschließend war nichts, ein klaffendes Loch in der Zeit. Als Nächstes erinnerte er sich daran, dass er in einer Klinik
in England war und keine Ahnung hatte, wie er dort hingekommen war oder warum er dort war. Er hatte diese fehlenden Wochen

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