Zeit der Raben - Ein Inspektor-Rutledge-Roman
gefürchtet. Und nicht einmal die Ärzte konnten ihm diese Wochen zurückgeben. Es hatte ihn mehr als ein Jahr gekostet, diese Erinnerung wiederzufinden, und eine Nacht in Kent, in der plötzlich alles auf ihn eingestürmt war.
Towson sagte gerade: »Ich bin sicher, dass mir der Rest auch wieder einfallen wird. Im Laufe der Zeit. Wenn ich mich nicht zu sehr unter Druck setze.«
»Ich würde mir deshalb keine allzu großen Sorgen machen«, stimmte Rutledge ihm zu.
»Middleton sagt, ich könnte tatsächlich einen Anfall gehabt haben …« Aus seiner Stimme war jetzt Furcht herauszuhören, die ihm eine hartherzige Mörderin eingeflößt hatte, jemand, der die Güte dieses Mannes ausgenutzt hatte, um ihn zu Fall zu bringen.
»Nein. Das wird Ihnen klar werden, wenn die Erinnerung zurückkehrt.«
Towson lächelte. »Hat Ihnen schon mal jemand gesagt, dass Sie ein guter Zuhörer sind? Sie hätten ein Kirchenmann werden können, statt zur Polizei zu gehen.«
Nicht mit der Schwärze in meiner eigenen Seele, antwortete ihm Rutledge stumm. Dann winkte er und zog seinen Hut gegen den Regen tiefer ins Gesicht.
Rutledge trug das Chutney auf dem Rückweg zum Haus des Constable dicht an seinen Mantel gedrückt.
Er konnte es nicht zu Inspector Cain bringen. Er traute dem Mann nicht, was eine sorgsame Analyse anging. Und schon gar nicht, wenn Cain erfuhr, dass es von Mrs. Ellison zubereitet worden war. Ein nutzloses Unterfangen, würde er sagen. Ein weiterer Versuch eines Ortsfremden, eine Frau von makellosem Ruf anzuschwärzen, um einen Mordfall zu lösen, für den er gar nicht zuständig war. Deshalb hatte man ihn nicht nach Dudlington
geschickt. Inspector Kelmore dagegen hatte keine Verbindungen zu Dudlington. Und seine Leute waren fähig und vertrauenswürdig.
Das war die beste Lösung.
Er ging ins Haus und etwas nagte an seinem Bewusstsein.
Hamish schwieg und war ihm überhaupt keine Hilfe.
Nachdem er einen Moment lang dort gestanden hatte, ging Rutledge wieder zur Tür und holte seinen Wagen.
Die Fahrt nach Northampton schien sich länger hinzuziehen als sonst. Von Zeit zu Zeit warf Rutledge einen Blick auf das Chutneyglas, das auf dem Sitz neben ihm stand.
Bildete er es sich nur ein oder ging etwas Drohendes davon aus, etwas Böswilliges?
Darauf würden ihm die Zeit und ein gutes Laboratorium die Antwort geben.
Inspector Kelmore hielt sich nicht in seinem Büro auf, als Rutledge dort ankam, aber Sergeant Thompson nahm das kleine Glas mit dem silbernen Band an sich und hielt es so behutsam zwischen Daumen und Zeigefinder, als rechnete er damit, dass es vor seiner Nase in die Luft gehen würde. »Ich bringe es auf der Stelle ins Labor, Sir.« Er schnupperte. »Rieche ich Rauch, Sir?«
»In Dudlington hat es gebrannt. Ich habe beim Löschen geholfen.«
»Und was soll ich Dr. Pell sagen? Worauf soll er achten?«
»Ich weiß es nicht. Arsen? Das vermute ich noch am ehesten.« Er sagte dem Sergeant, woher das Chutney stammte, wer es dem Pfarrer geschenkt hatte und warum er damit nach Northampton gekommen war. Nur seine Sorge in Hinblick auf Inspector Cain brachte er nicht zur Sprache.
»Das hat jemand dem Pfarrer gegeben?« Thompson schüttelte den Kopf. »Wohin soll das alles noch führen, Sir!«
»Sie finden mich im Krankenhaus, falls Sie mich brauchen.«
»In Ordnung, Sir. Ich hoffe, Sie finden den Constable gut versorgt vor. In der letzten Mitteilung, die wir erhalten haben, hieß es, sein Fieber sei gestiegen. Es sieht nicht so aus, als ob er durchkäme!«
Rutledge fand die Oberschwester in ihrem Büro und nahm ihr gegenüber an ihrem Schreibtisch Platz. Seine Gedanken schlugen eine andere Richtung ein, als er fragte: »Wie geht es Constable Hensley?«
»Keinesfalls besser. Vielleicht sogar noch etwas schlechter. Er ist jetzt nicht mehr ständig bei Bewusstsein.«
Rutledge fluchte in sich hinein. »Wir brauchen ihn dringend. Es ist wichtig, dass er wieder gesund wird.«
»Wir tun alles, was wir können, das versichere ich Ihnen, Inspector. Aber das, was die Medizin ausrichten kann, hat Grenzen.«
»Er hat den Pfeil in seinem Rücken überlebt - er hat den Eingriff überlebt, bei dem die Pfeilspitze entfernt wurde. Ich würde meinen, er könnte auch ein Fieber überleben.« Doch schon während er die Worte sagte, wusste er selbst, dass sie nicht der Wahrheit entsprachen. Eine Infektion, die außer Kontrolle geraten war, verlief im Allgemeinen tödlich. »Darf ich ihn sehen?«
»Ja,
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