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Zeit der Raben - Ein Inspektor-Rutledge-Roman

Titel: Zeit der Raben - Ein Inspektor-Rutledge-Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charles Todd Ursula Gnade
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nicht auch hierher?
    Das Gras knirschte unter seinen Füßen, und der Wind war beißend. Jetzt konnte er das Wäldchen sehen. Kahle Äste zeichneten sich als dunkle Umrisse vor dem Schiefergrau der Wolken ab, wie Finger, die sich nach oben reckten. Das Wäldchen war größer, als er erwartet hatte, und es war dichter. Es war ganz ausgeschlossen, durch die Bäume hindurch das nächste Feld zu sehen, denn die Stämme und das Unterholz hatten sich zu einem Dickicht verwoben.
    Hinter den Häusern wehte die Wäsche der letzten Woche im Wind. Unter den grauen Wolken wirkten die Schieferdächer dunkel, und der große, schmale Kirchturm ragte in den Himmel auf wie ein einsamer Wächter.
    Dicht neben dem kleinen Schuppen eines Hauses jenseits der Kirche bellte ein Hund. Ted Baylors Hund?
    Als er das Wäldchen erreichte, nahm Rutledge wahr, dass Hamish angespannt in seinem Hinterkopf auf der Lauer lag.
    Er trat zwischen die Bäume und spürte die Blicke von Dorfbewohnern auf sich, die ihn durch ihre Spitzengardinen beobachteten. Er hatte das Gefühl, wenn ein sächsischer Krieger ihn am Waldrand empfangen und ihm mit einer langen Klinge den Kopf abgehauen hätte, wäre niemand erstaunt gewesen.

    Hamish sagte: »Es ist keine besonders gute Idee, die Toten in Versuchung zu führen.«
    »Nein. Nicht, während man über sie läuft.«
    Das Laufen war schwierig, ob man nun über Tote lief oder nicht. Heruntergefallene Äste und vermoderte Baumstämme stellten unachtsamen Füßen unter dem Teppich aus nassem Laub heimtückische Fallen. Einmal stolperte er und hielt sich mit einer Hand am nächsten Baum fest. Er fand einen kleinen Bereich, wo das Laub von etlichen Füßen aufgewühlt worden war. Das mussten Hensley und seine Retter gewesen sein.
    Als er sich umsah, fragte sich Rutledge, wie es jemandem gelungen war, den schwer verwundeten Constable zwischen den dichten Stämmen herauszuhieven. Irgendwie hatten sie es geschafft.
    Um die Stelle herum, an der man Hensley vermutlich gefunden hatte, suchte er den Boden gründlich ab. Aber er fand nicht genug Hinweise, um sich ein Urteil darüber zu bilden, ob der Mann dort gestürzt war oder ob man ihn erst später hierhergeschleift hatte. Ihn hierherzuschaffen, wäre bestimmt genauso schwierig gewesen, wie ihn aus dem Wäldchen herauszuziehen. Rutledge erkannte, dass er viel mehr Licht brauchen würde, um Gewissheit zu erlangen. Aber alles in allem schien es, wie Hamish hervorhob, als sei Hensley in dem Wäldchen und auf den Füßen gewesen, als der Schuss auf ihn abgegeben wurde. Ob er in dem Punkt vorsätzlich gelogen hatte oder sich wirklich nicht an die Ereignisse erinnern konnte, die dem Moment vorausgegangen waren, als der Pfeil ihn traf, war schwer zu beurteilen.
    Ein gutes Stück entfernt fand Rutledge in der weichen Erde um einen Baumstamm herum einen tiefen Abdruck, der darauf hinwies, dass hier jemand gestanden hatte. Aber ob es der Mann mit Pfeil und Bogen war oder Hensley selbst, ließ sich unmöglich sagen.
    Da Hensley vorübergehend aus dem Verkehr gezogen war, rief ihm Hamish ins Gedächtnis zurück, war auch niemand da
gewesen, der für ihn hätte einspringen und eine Untersuchung der näheren Umgebung hätte vornehmen können. Der Arzt war mit seinem Patienten beschäftigt, und seine Helfer waren erpicht gewesen, das Wäldchen so schnell wie möglich wieder zu verlassen. Falls sie die Gegend überhaupt abgesucht hatten, dann bestimmt nur oberflächlich.
    Rutledge bewegte sich weiter voran und musterte vor jedem Schritt eingehend die Erde zu seinen Füßen. Aber es gab nur wenige Anhaltspunkte und selbst die waren schwer zu erkennen. Hier ein umgeknickter Halm, dort ein Blatt, das nicht an der richtigen Stelle war, ein Zweiglein, das abgebrochen war, wo es jemand im Vorübergehen gestreift hatte. Es ließ sich unmöglich sagen, wer diese Spuren hinterlassen hatte, Hensley oder sein Angreifer.
    Das Seltsame war, dass er kein einziges Kaninchen aufgescheucht hatte. Und er hatte auch keinen Vogel von Baum zu Baum flattern sehen und kein neugieriges Zwitschern gehört. Das Wäldchen lag still da, von keinem Lebewesen bewohnt.
    Und das ließ schon für sich allein genommen nichts Gutes ahnen …
    Wie schwierig würde es sich gestalten, in dem vermoderten Erdreich zu graben oder gar ein Grab dort auszuheben? Wäre das Hensleys Los gewesen, wenn er sofort gestorben wäre?
    Selbst ein Mörder könnte Skrupel haben, einen Mann zu begraben, der noch am Leben war.
    Dieser Gedanke

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