Zeit der Raben - Ein Inspektor-Rutledge-Roman
Knöchel, dachte er, mussten Towson nachts große Schmerzen bereiten.
Aber die Bewegungen des Pfarrers waren flink und ökonomisch und im Handumdrehen hatte er das Holzfeuer im Herd angezündet. Aus einem Schrank holte er Brot und Butter und stellte beides gemeinsam mit einem Glas Marmelade vor Rutledge ab.
»Ich esse gern einen Happen zum Tee«, erklärte er und griff nach der Zuckerschale. Dann verschwand er in der Speisekammer, um die Milch zu holen.
Der Tee war aufgebrüht und zog noch, als er sich endlich seufzend auf den Stuhl setzte, der Rutledge gegenüberstand. »Ich habe keine Neuigkeiten über Hensley erfahren. Ist er auf dem Wege der Besserung - oder tot?«
»Auf dem Wege der Besserung. Aber er hat beträchtliche Schmerzen. Sie können das Wäldchen bestimmt aus den oberen Fenstern sehen. Haben Sie ihn vor drei Tagen zufällig dorthin gehen sehen? War jemand bei ihm? Anscheinend kann er sich nicht erinnern, wo er war, bevor er von dem Pfeil getroffen wurde. Ich versuche, die Lücken zu füllen.«
»Ich fürchte, ich kann Frith’s Wood nur von den Fenstern des Dachbodens aus sehen, weil mir die Kirche den Blick verstellt. Und ich war in meinem Arbeitszimmer und habe meine Predigt geschrieben. Man sollte meinen, inzwischen wüsste ich, wie man eine Predigt schreibt, aber es fällt mir immer wieder schwer. Ich vermute, ich habe längst alles gesagt, was ich zu sagen habe.« Er lächelte schmerzlich. »Nein, von dem Unfall habe ich erst erfahren, als einer meiner Nachbarn gekommen ist, um mir davon zu berichten. Zu dem Zeitpunkt wurde Hensley
schon nach Northampton gebracht. Sogar Middleton konnte eine solche Wunde nicht behandeln, und er ist wirklich gut.« Er nickte, als Rutledge aufstand, um ihre Tassen zu füllen. »Danke, Inspector. Ah, genau das ist es, was ich brauche, Wärme von innen heraus.«
»Sie und Dr. Middleton sind etwa gleichaltrig«, sagte Rutledge. »Was wird aus Dudlington werden, wenn Sie beide nicht mehr da sind?«
»Ich vermute, jemand wird unsere Stellen einnehmen. Die Natur lässt so schnell kein Vakuum zu, verstehen Sie?«
»Erzählen Sie mir etwas über Hensley. Waren die Leute froh, ihn hier in Dudlington zu haben? Ist anzunehmen, dass er, wie es bei Ihnen der Fall ist, hier alt werden wird?«
»Das könnte schon sein, oder zumindest hätte ich es letzte Woche noch gesagt. Ich kann mir nicht vorstellen, wie jemand dazu gekommen ist, einen Pfeil auf ihn abzuschießen. Das empfinde ich als äußerst unzivilisiert.«
Rutledge verbarg sein Lächeln. »Sind die meisten Leute gut mit ihm ausgekommen? Schließlich kam er aus London und hatte bestimmt keine Erfahrung mit dem Leben in einer so kleinen Ortschaft. Es könnte ihm Schwierigkeiten bereitet haben, die Unterschiede zu erfassen. Daher könnte er sich Feinde gemacht haben.«
Towson war damit beschäftigt, Butter auf eine Brotscheibe zu streichen. »Allzu viele Straftaten werden hier nicht begangen. Ich wage zu behaupten, er ist die meiste Zeit niemandem zu nahe getreten. Er hat einmal zu mir gesagt, er sei recht froh über diese Verschnaufpause.«
»Erzählen Sie mir etwas über Emma Mason.«
Das Messer verharrte mitten in der Luft. Towson starrte Rutledge an. »Sie legen ein beachtliches Tempo vor, junger Mann. Wo haben Sie denn diesen Namen aufgeschnappt?«
»Das spielt keine Rolle. Was dagegen durchaus eine Rolle spielt, ist, dass ich bei Hensleys Unterlagen keinen Bericht über
ihr Verschwinden gefunden habe. Ein Fall von dieser Größenordnung? Er muss Leute vernommen und Spuren verfolgt haben. Irgendetwas sollte schriftlich festgehalten worden sein.«
»Ich vermute, Inspector Cain in Letherington hat alle Aufzeichnungen aufbewahrt. Emma war - und soweit ich weiß, ist sie es immer noch - ein junges Mädchen, das kurz davorstand, zur Frau heranzureifen. Charmant, intelligent und sehr beliebt. Sie können selbst sehen, wie klein Dudlington ist, und natürlich kannten alle Emma und hatten sie aufwachsen sehen.«
»Leben ihre Eltern noch hier?«
»Ihr Vater ist an einem Tumor erkrankt und gestorben, als sie noch ein Kind war. Ihre Mutter hat sie daraufhin nach Hause gebracht, zu Mary Ellison, Emmas Großmutter, damit sie dort aufwächst. Dann ist sie fortgegangen und nie mehr zurückgekommen, soweit ich gehört habe. Mary hat sich aufopfernd um das Kind gekümmert, und ich glaube nicht, dass sie sich seit Emmas Verschwinden jemals wieder gefangen hat.«
»Weshalb hätte Emma fortgehen sollen, ohne es jemandem zu
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