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Zeit der Raben - Ein Inspektor-Rutledge-Roman

Titel: Zeit der Raben - Ein Inspektor-Rutledge-Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charles Todd Ursula Gnade
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sagen?«
    »Das ist ja gerade das Geheimnisvolle. Emma war … Etwas so Herzloses hätte sie nicht getan, das war einfach unbegreiflich. Sie hatte keinen Funken Grausamkeit im Leib.«
    »Und vor ihrem Verschwinden hat sie da nichts bedrückt? Ein junger Mann? Ärger in der Schule? Das Leben mit ihrer Großmutter?«
    »Wenn ja, dann wusste es keiner von uns. Sie schien ein so sonniges Gemüt zu haben und niemals niedergeschlagen zu sein.« Er aß seine Scheibe Brot auf und begann Butter auf die nächste zu streichen. »Eines werde ich Ihnen über Emma sagen. Sie ist den Männern - äh - aufgefallen. Sie war recht hübsch mit ihrem dunklen Haar und ihren dunklen Augen, schlank und wohlgeformt. Sogar ich habe bemerkt, dass sie ein reizvolles Kind war. Es kann sein, dass ein anderer sie nicht ganz so beurteilt hat - sie möglicherweise für reifer hielt, als sie war. Vielleicht
wusste sie nicht, wie man mit dieser Form von Aufmerksamkeiten umgeht. Ein Dorf wie unseres bringt selten eine solche Schönheit hervor, verstehen Sie. Für manch einen hat das eine Versuchung darstellen können. Das ist aber noch lange keine Rechtfertigung dafür, einfach wegzulaufen.«
    »Und was ist mit den Ehefrauen der Männer, die sie beachtet haben? Waren sie eifersüchtig?«
    »Ich würde es vermuten. Emma war nicht kokett, glauben Sie das bloß nicht. Aber wenn sie jemanden angelächelt hat, dann konnte es glatt passieren, dass ihm der Herzschlag aussetzt. Sogar mir, in meinem Alter. Ein einsamer Mann könnte mehr darin sehen, als beabsichtigt war. Und sich einreden, er gefiele ihr. Sie verstehen doch, was ich meine?«
    Hamish sagte: »Er ist gar nicht so weltfremd, wie er sich gibt. Und dieser Constable käme als einsamer Mann infrage.«
    »Ja«, antwortete Rutledge bedächtig. »Hat Hensley übermäßiges Interesse an ihr gezeigt?« Das könnte die fehlende Akte erklären. Er würde wohl kaum Indizien aufbewahren, die auf ihn selbst hinwiesen.
    »Er hat im Vorübergehen mit ihr gesprochen, wie alle anderen auch. Aber ob es jemals darüber hinausging, gelegentlich ein paar Worte miteinander zu wechseln, lässt sich schwer sagen. Sehen Sie, das Pfarrhaus steht nicht mitten in der Ortschaft. Und ich fühle mich auf dem Fahrrad nicht mehr so sicher wie früher.«
    »Wo wohnt Emmas Großmutter?«
    »In der Whitby Lane, gegenüber von der Bäckerei. Sie ist ein wenig schwerhörig. Das müssen Sie sich merken.«
    Gegenüber von der Bäckerei. Das hieß, sie wohnte fast direkt gegenüber von Hensleys Haus. Er musste Emma täglich ein und aus gehen gesehen haben.
    Als er sich erhob, um zu gehen, sagte Rutledge: »Ist Ihnen hier jemand bekannt, der Pfeil und Bogen besitzt? Oder der damit umzugehen weiß?«

    »Die einzige Person, die jemals Interesse am Bogenschießen gezeigt hat, war Emma. Und sie war damals erst zwölf Jahre alt.«
     
    Rutledge klopfte bei Mrs. Ellison an, doch sie öffnete ihm nicht. Ein wenig schwerhörig, erinnerte er sich, und als er die Straße überquerte, blickte er auf, weil ein kleiner Sonnenstrahl durch die Wolken brach und den rötlichen Backsteinen einen rosigen Schimmer verlieh. Er nickte einer jungen Frau zu, die mit Brot aus der Bäckerei kam. Sie zog den Kopf ein, als hätte sie seine Begrüßung nicht bemerkt.
    Er öffnete die Tür seines vorläufigen Quartiers, trat ein und stieg die Treppe zu Hensleys Schlafzimmer hinauf. Auf einem Regal zwischen den Fenstern hatte er einen ramponierten Feldstecher gesehen, den er sich auszuleihen beabsichtigte.
    Er fand ihn da, wo er ihn in Erinnerung hatte, gleich neben dem Fenster. Als er die Hand danach ausstreckte, entdeckte er, dass man von seinem Schlafzimmerfenster in Hensleys Haus direkt in ein Fenster auf der anderen Straßenseite blickte. Ein Fenster des Hauses, in dem Mrs. Ellison lebte.
    Er hob den Feldstecher an seine Augen und stellte überrascht fest, wie klar er das gegenüberliegende Zimmer sehen konnte.
    War das Emmas Zimmer? Und hatte Hensley das Fernglas dazu benutzt, sie nachts zu beobachten?
    »Weshalb sonst sollte er es griffbereit hier liegen haben?«, fragte Hamish.
    Das war ein unerfreulicher Gedanke.
    Er steckte das Fernglas in seine Manteltasche und wollte sich gerade auf den Weg zu seinem Wagen machen, als er es sah.
    Eine Patronenhülse, die aufrecht mitten auf seinem Bett stand. Diesmal war die glatte Oberfläche durch keine eingeritzte Botschaft verunstaltet.
    Wer auch immer sein Verfolger sein mochte - er hatte ihn in Dudlington

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