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Zeit der Raben - Ein Inspektor-Rutledge-Roman

Titel: Zeit der Raben - Ein Inspektor-Rutledge-Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charles Todd Ursula Gnade
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anzuschauen. Middleton hatte recht. Der Schaft war aus Holz und nicht mit der Hand geschnitzt. Die Federn schienen ein wenig mitgenommen zu sein, aber ob das am Alter oder am Gebrauch lag, hätte er nicht sagen können. Ihr lädierter Zustand hatte die Zielgenauigkeit des Pfeils nicht beeinträchtigt - oder vielleicht doch, nämlich dann,
wenn der Schütze beabsichtigt hatte, mit diesem Schuss zu töten.
    Hamish bemerkte: »Es lässt sich unmöglich sagen, ob es eine Frau oder ein Mann war. Oder wie weit der Bogenschütze von dem Ziel entfernt war. Wenn dieser Pfeil auf den Rücken des Constable abgeschossen worden ist, dann war dem Schützen ganz egal, ob sein Opfer den Schuss überlebt oder nicht.«
    »Er hat einige Stunden lang dort in dem Wäldchen gelegen. Niemand ist zurückgekommen, um das Werk zu vollenden, das der Pfeil begonnen hatte«, stimmte Rutledge ihm zu, ohne sich darüber bewusst zu werden, dass er Hamish laut geantwortet hatte.
    Middleton sagte: »Es ist nicht anzunehmen, dass jemand in das Wäldchen gegangen ist, um dort Schießübungen zu machen. Zum einen stehen die Bäume dort zu dicht und zum anderen tut man das nicht. Jedenfalls nicht hier in Dudlington. Es sei denn, man wäre ein Fremder, der nicht mit der Geschichte dieses Ortes vertraut ist. Wenn man es allerdings darauf abgesehen hätte, Hensley zu ermorden, dann wäre das ein idealer Ort dafür gewesen. Aberglaube hin, Aberglaube her. Aber das hat weder Hand noch Fuß. Man könnte sich doch einfach in sein Haus schleichen und ihm die Kehle aufschlitzen, während er schläft, wenn es das ist, worauf man aus ist, und dabei würde man noch nicht einmal riskieren, dass man auf dem Weg ins Wäldchen gesehen wird. Und man liefe auch nicht Gefahr herauszufinden, dass die Geschichten wahr sind und es dort tatsächlich spukt.«
    »Was ist aus Hensleys Fahrrad geworden? Er behauptet, er sei mit seinem Fahrrad auf der Hauptstraße gefahren, bevor er angegriffen wurde.«
    »Vermutlich hat niemand daran gedacht, es zu suchen. Ich war der Überzeugung, er sei zu Fuß unterwegs gewesen. In seiner Nähe war keine Spur davon zu sehen, so viel kann ich Ihnen versichern.«

    »Hat Hensley Ihnen eine Erklärung dafür gegeben, warum er sich überhaupt in das Wäldchen hineingewagt hat?«
    »Das war nicht nötig. Den Grund konnte ich mir selbst denken. Wir haben uns immer gefragt, ob Emma Mason dort begraben ist. Und ich glaube, er hat die letzten drei Jahre mit der Suche nach ihrem Grab verbracht.«

9.
    »Wer ist Emma Mason?«, fragte Rutledge. In Hensleys Wohnzimmer hatte er keine Akte über eine vermisste oder ermordete Frau gefunden.
    »Sie war ein Mädchen von hier. Zum Zeitpunkt ihres Verschwindens siebzehn Jahre alt. Wir haben die Gegend im Umkreis von Meilen abgesucht. Niemand hatte sie fortgehen sehen und niemand wusste, was aus ihr geworden war. Ihre Großmutter war außer sich - sie hätte die Suchtrupps persönlich angeführt, wenn sie dazu in der Lage gewesen wäre.«
    »Dann war es also ein Gewaltverbrechen?«
    »Wir sind auf niemanden gekommen, der ihr etwas angetan haben könnte. Und uns ist kein vernünftiger Grund dafür eingefallen, weshalb sie hätte fortlaufen sollen. Von einem Moment zum nächsten, und nicht ein einziges Kleidungsstück hat gefehlt. Nicht mal eine Zahnbürste hatte sie dabei.«
    »Woher rührt dann der Verdacht, sie läge im Wäldchen begraben?«
    »Es war der einzige Ort«, antwortete Middleton betrübt, »wo es jemandem möglich gewesen wäre, sich eine Leiche vom Hals zu schaffen, ohne vom halben Dorf durch die Hinterfenster beobachtet zu werden. Ein logischer Ort sozusagen. Aber wir haben das Wäldchen Zentimeter für Zentimeter abgesucht und es gab keinen Hinweis darauf, dass der Boden irgendwo aufgescharrt worden war. Ich bezweifle ohnehin, dass jemand bei all diesen Wurzeln dort ein Grab hätte ausheben können. Aber
trotzdem - die Suche musste durchgeführt werden, wenn wir gründliche Arbeit leisten wollten.«
     
    Rutledge hielt sich an die Wegbeschreibung, die ihm Middleton gegeben hatte, stellte sein Automobil in der Nähe der Kirche ab und lief von dort aus querfeldein. Er hatte erst wenige hundert Meter zurückgelegt, als ihm auffiel, wie offen das Land unter dem grauen Winterhimmel dalag. Das Gras war braun, nur am Bach wuchsen Bäume, und bis zum weiten Horizont durchbrach nichts die Leere.
    Plötzlich fühlte er sich ausgeliefert.
    Wenn jemand ihm nach Kent und nach Hertford gefolgt war, warum dann

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