Zeit der Raben - Ein Inspektor-Rutledge-Roman
beim Gemüsehändler, die sich auf einen kleinen Jungen zurückverfolgen ließen, der eine Vorliebe für Obst hatte. Eine häusliche Angelegenheit, die sich darum drehte, dass eine Ehefrau ihren Mann beschuldigt hatte, mehr Zeit als - ihres Erachtens - nötig damit verbracht zu haben, in Mrs. Melfords Haus einen Rauchfang im Kamin zu reparieren.
Er packte die Unterlagen wieder in die Kiste, stand auf und sah sich in dem Zimmer um. Es gab nirgends Fotografien, weder hier noch im Schlafzimmer. Und überhaupt so gut wie keine persönlichen Gegenstände. Aber in einer Schublade des Schreibtischs entdeckte er einen Brief, eine Belobigung, die aus der Feder des damaligen Chief Inspector Bowles stammte, und in der Hensleys Verdienste bei der Verhaftung eines Mörders in London herausgestrichen wurden.
Warum befand sich Hensley dann in diesem entlegenen Winkel des Königreichs und verbrachte seine Zeit damit, vermissten Hunden nachzulaufen und erzürnte Ehefrauen zu beschwichtigen?
Offensichtlich hatte Hensley die Belobigung mit einem gewissen Stolz aufbewahrt …
Rutledge warf einen Blick auf die Wanduhr und stellte fest, dass ihm noch drei Minuten blieben, um sich zum Frühstück in Mrs. Melfords Haus einzufinden.
Das Frühstück war so lecker wie das Essen am Vortag, die Eier ganz nach seinem Geschmack zubereitet, und doch sagte er, als der Toast gebracht wurde: »Ich habe versucht, ein Zimmer im Oaks zu mieten. Dort hat man mich in aller Höflichkeit abgewiesen. Wissen Sie, warum?«
»Mr. Keating wollte schon immer seine Ruhe haben. Anscheinend passt es ihm nicht, Gäste aufzunehmen, die länger als eine Nacht bleiben. In erster Linie setzt er Durchreisenden Mahlzeiten vor und natürlich ist das Wirtshaus bei den Männern hier in Dudlington beliebt.«
»Wer war die Frau? Eine Angestellte? Oder seine Ehefrau?«
Sie lachte, und ihre grimmige Miene hellte sich auf. »Sie mag sich zwar wünschen, sie wäre seine Frau, aber Frank Keating ist ein Frauenhasser. Die Frau heißt Hillary Timmons. Sie wohnt in der Nähe der Kirche. Hier gibt es nicht viele Möglichkeiten, eine Anstellung zu finden.«
»Und deshalb kochen Sie gegen Bezahlung für Constable Hensley.«
»Erraten. Ich hole nur schnell die warme Milch für Ihren Tee.«
Dr. Middleton war ein älterer Mann, dessen Gesicht runzlig, aber heiter war. Er begrüßte Rutledge mit einem Nicken und führte ihn in sein Sprechzimmer, einen Raum im hinteren Teil des Hauses.
»Haben Sie Hensley gesehen? Wie macht er sich?«
»Recht gut. Aber er hat Schmerzen.«
»Das will ich wohl meinen! Dieser Pfeil hat sich tief in ihn gebohrt.«
»Wie lange sind Sie hier schon Arzt?«
»Letzten Monat waren es sieben Jahre. Ich habe meine Praxis aufgegeben und bin hierhergekommen, um zu sterben. Aber dafür habe ich bisher noch nicht die Zeit gefunden.« Er setzte sich hinter den Tisch, der ihm als Schreibtisch diente, und deutete auf einen Stuhl, der ihm gegenüberstand. »Meine Frau ist gestorben, und ich habe das Interesse am Leben verloren. Sie ist in Dudlington geboren und liegt auf dem hiesigen Friedhof begraben. Hier fühle ich mich ihr näher.«
»Wo haben Sie vorher gelebt?«
»In Naseby. Eine Herausforderung ist die Praxis hier nicht gerade, aber ich bin der einzige Arzt im Umkreis von zwanzig Meilen. Babys und Brandwunden und Beulen, darauf beschränken sich meine Aufgaben weitgehend.«
»Dudlington ist ein sehr ruhiger Ort. Es war kaum eine
Seele auf der Straße, als ich gestern Nachmittag hier angekommen bin.«
»Der Schein trügt. Zum einen haben wir das Wetter um diese Jahreszeit. Wenn der Wind über diese weiten Fluren heult, lädt das nicht gerade dazu ein, eine Viertelstunde auf der Stra ße stehen zu bleiben und sich die Zeit zu vertreiben. Und die Männer sind in erster Linie Viehzüchter, die im Morgengrauen aufstehen und nach Hause gehen, wenn das Vieh gefüttert und für die Nacht versorgt ist. Viele von ihnen kommen auch zum Mittagessen nach Hause, das heißt, dass ihre Ehefrauen einen großen Teil des Tages in der Küche verbringen. Ihre Einkäufe erledigen sie am Vormittag, und um diese Jahreszeit ist es schon dunkel, wenn die Kinder aus Letherington zurückkommen, wo jetzt die Schule ist. Vor dem Krieg hatten wir einen Schulmeister, aber als die Deutschen in Belgien einmarschiert sind, hat er sich freiwillig gemeldet. Er ist nicht ersetzt worden.«
»Hatte Constable Hensley Schwierigkeiten damit, den Frieden zu bewahren? Seine Aufzeichnungen
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