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Zeit der Raben - Ein Inspektor-Rutledge-Roman

Titel: Zeit der Raben - Ein Inspektor-Rutledge-Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charles Todd Ursula Gnade
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aufgespürt.

10.
    Das überraschte ihn nicht. Im Grunde genommen hatte er damit gerechnet. Trotzdem stand Rutledge jetzt da und sah die kleine Hülse an, ohne sie zu berühren. Am meisten beunruhigte ihn der Umstand, dass er schon wieder so leicht aufzufinden gewesen war. Es hätte doch gewiss niemand vermuten können, dass er sich im Haus des verwundeten Constable einquartieren würde? Es sei denn, es wäre eine logische Schlussfolgerung gewesen, nachdem man festgestellt hatte, dass Rutledge sich kein Zimmer im Oaks genommen hatte. Wenn man erst einmal so weit mit seinen Nachforschungen gekommen war, verriet der Wagen, der neben dem Haus abgestellt war, natürlich seine Anwesenheit.
    Hatte jemand beobachtet, wie sich sein unsichtbarer Verfolger in das Haus des Constable geschlichen hatte? Schließlich waren die Bäckerei und der Laden des Gemüsehändlers ganz in der Nähe, und dort erledigten die Leute ihre Einkäufe.
    Rutledge trat wieder an das Fenster zur Straße. Als er hinausschaute, konnte er zwei Frauen sehen, die aus dem Laden des Gemüsehändlers kamen und angeregt miteinander redeten, und als er sich in die andere Richtung umwandte, liefen kleine Kinder Hand in Hand vor ihrem Kindermädchen her, deren gestärkte Schürze unter dem schweren Mantel verborgen war.
    Dann bogen zwei Männer in schlammigen Gummistiefeln um die Ecke und schlugen forsch den Weg ein, der zum Gasthaus hinaufführte. Oder zu den Feldern. Das war schwer zu
sagen. Drei Häuser weiter kam eine Frau mit einem Besen aus dem Haus, um den Gehweg vor ihrer Tür zu fegen.
    Es war nicht etwa so, dass sich in Dudlington auf der Straße nichts tat - vielmehr verhielt es sich so, dass sich in einer grö ßeren Ortschaft oder in einer Kleinstadt zu jedem gegebenen Zeitpunkt vierzig oder fünfzig Leute auf der Straße aufhielten, in dieser kleinen Ansiedlung mitten im Nichts waren dagegen selten mehr als zehn Leute gleichzeitig draußen zu sehen. Aber der Arzt hatte gesagt, der Klatsch bildete den Hauptpfeiler des hiesigen Lebens. Und ein Fremder hätte die Leute an die Fenster gelockt und Dutzende von Gesichtern hinter den Gardinen hervorlugen lassen, um zu sehen, wohin sein Weg ihn führte und was er hier zu suchen hatte.
    Hamish sagte: »Man bräuchte eine Armee, um sie alle zu verhören.«
    Rutledge sah sich die Patronenhülse genauer an. War sie absichtlich schmucklos? Oder waren demjenigen, der Jagd auf ihn machte, die verzierten Hülsen ausgegangen?
    »Das spielt keine Rolle«, hob Hamish hervor. »Du hast hier anderes zu tun.«
    Aber sowie man die schützenden Dorfstraßen hinter sich ließ, erstreckte sich die offene Weite der verdorrten Landschaft mit ihren kleinen Hügeln. Dort war man schutzlos ausgeliefert. Und bot eine perfekte Zielscheibe.
    Rutledge schauderte. Es war wie im Niemandsland, wo die einzigen Bäume geschwärzte, entstellte Schemen in einer öden, zerstörten Welt waren.
    Er wollte die Hülse einstecken, um sie nicht länger sehen zu müssen. Doch dann überlegte er es sich anders.
    Würde derjenige, der es darauf abgesehen hatte, dass er die Hülsen fand, später noch einmal zurückkommen, um nachzusehen, ob seine Botschaft ihren Empfänger erreicht hatte?
    Das war eine interessante Frage, die es durchaus wert war, sich damit zu beschäftigen.

    Schließlich stellte Rutledge die Hülse sorgfältig wieder genau dort ab, wo er sie vorgefunden hatte, und ging aus dem Haus, um sein Mittagessen bei Mrs. Melford einzunehmen.
     
    Sie hatte belegte Brote und einen Nachtisch für Rutledge bereitgestellt. Falls sie sich im Haus aufhielt, hörte er sie nicht umherlaufen.
    Er aß schnell und ging gleich anschließend wieder aus dem Haus. Er fuhr zum Oaks hinauf, wo die Hauptstraße an Dudlington vorbeiführte. Dort fand er den Inhaber in der Bar vor, wo er einige Männer in Kordhosen und schweren Stiefeln bediente.
    Sie sahen sich um, als Rutledge zur Tür hereinkam, wandten sich dann ihrem Bier wieder zu und schenkten ihm keinerlei Beachtung.
    Rutledge nickte dem Gastwirt zu und setzte sich an einen Tisch am Fenster. Als Keating an den Tisch kam, um sich zu erkundigen, was er ihm bringen sollte, schüttelte er den Kopf. »Vielleicht später.«
    Das Gespräch, das bei seinem Eintreten verstummt war, wurde wieder aufgenommen, als sei mitten im Satz abrupt das Thema gewechselt worden.
    Es dauerte weitere zwanzig Minuten, bis die Männer sich verabschiedeten und zur Tür gingen. Während er die leeren Gläser einsammelte, sagte der

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