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Zeit der Raben - Ein Inspektor-Rutledge-Roman

Titel: Zeit der Raben - Ein Inspektor-Rutledge-Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charles Todd Ursula Gnade
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bin kein Narr. Sie sind hier, um die Geheimnisse anderer Leute aus mir herauszuholen. Bleiben Sie sitzen und wärmen Sie sich auf, ich hole inzwischen den Tee.«
    Er ging aus dem Zimmer und bereitete dem Gespräch damit nachdrücklich ein Ende.
    Rutledge sah sich die dunkle Holztäfelung an den Wänden und die tristen Vorhänge vor dem Fenster an und wandte seine Aufmerksamkeit dann dem Porträt eines älteren Mannes zu - eines Geistlichen, soweit er das beurteilen konnte -, das über dem Kamin hing. Ein grimmiges Gesicht ohne jede Spur von Humor und ohne einen Funken Güte. An wen erinnerte es ihn?
    Hamish sagte: »An den Geistlichen, der gegen meine Fiona gewettert hat.«
    Ja, natürlich, dieser unbarmherzige Mann in Schottland, der eine wehrlose junge Frau bereitwillig in den Tod getrieben hätte.
Und um Haaresbreite hätte er es geschafft. Sie hatte Hamish geliebt, und das wäre ihr beinah zum Verhängnis geworden.
    Die Ähnlichkeit lag gar nicht einmal so sehr in ihren Gesichtszügen, sondern in der unbeugsamen Haltung beider Geistlicher, wenn es um menschliche Schwächen ging. Sie konnten es kaum erwarten, den ersten Stein zu werfen.
    Towson kam mit einem Tablett zurück. »Ein Glück für Sie, dass der Kessel schon gekocht hat«, sagte er. »Das sollte Ihre Lebensgeister wieder wecken.«
    »Wer ist der Mann auf diesem Porträt?«
    »Einer meiner Vorgänger. Er gehört gewissermaßen zum Inventar. Ich vermute, den wollte keiner haben. Ich habe mich schon oft gefragt, ob er sich nachts im Pfarrhaus herumtreibt, weil er nicht gewillt ist, still in seinem Grab zu liegen.«
    Rutledge lachte. »Was würden Sie zu ihm sagen, wenn Sie ihm im Flur vor Ihrer Tür begegnen würden?«
    »Ich bezweifle, dass wir viel miteinander gemeinsam hätten, was über ein ›Guten Abend, Sir‹ hinausgeht.«
    Rutledge erbot sich, den Tee einzugießen, denn die gekrümmten Hände, die mit der Kanne hantierten, entgingen ihm nicht, aber Towson sagte: »Ich sehe es als eine Frage der Unabhängigkeit an, keine Hilfe in Anspruch zu nehmen. Wenigstens so lange, bis ich glühend heißen Tee über einen meiner Gäste verschütte.«
    »Sie werden mir nichts über den Mann in Grace Letteridges Leben erzählen.« Es war keine Frage, sondern eine sachliche Feststellung.
    »Wenn sie will, dass Sie es erfahren, wird sie es Ihnen selbst erzählen. Ihnen muss doch klar sein, dass kein Zusammenhang mit Constable Hensleys Angreifer bestehen kann.«
    »Das schon, aber ich frage mich, ob dieser Mann etwas damit zu tun hatte, dass Miss Letteridge 1914 nach London gegangen ist und die junge Emma Mason sich selbst überlassen hat. Und ob der Tod dieses Mannes während des Krieges Miss Letteridge
kurz vor Emmas Verschwinden wieder nach Hause geführt hat.«
    »An Fantasie mangelt es Ihnen nicht gerade, stimmt’s?«
    »Warum taucht Emma Masons Name so oft in Zusammenhang mit Constable Hensley auf?«
    »Nun ja, ich vermute, jeder Mann möchte in den Augen junger Frauen, die leicht zu beeindrucken sind, tapfer und weltgewandt erscheinen. Als Hensley hier in Dudlington eingetroffen war, hat er sich zurückgehalten, wie es jeder neu Zugezogene tun sollte. Schließlich war er ein Ortsfremder und musste sich unseren Respekt erwerben, ob Constable oder nicht. Aber es dauerte nicht lange, bis er sich jedem gegenüber, der bereit war zuzuhören, mit seinen Erlebnissen in London gebrüstet hat. Ich kann verstehen, weshalb Emma neugierig darauf war, was für eine Form von Leben ihre Mutter wohl führte, und daher hat sie ihn in einem ungebührlichen Maß ermutigt. Mrs. Ellison hätte London niemals in so leuchtenden Farben gezeichnet. Sie ist der Überzeugung, dass London nur einen Steinwurf vom zweiten Wohnsitz Satans entfernt ist.«
    »Mir ist berichtet worden, es sei über bloße Prahlereien hinausgegangen und er hätte seine Erfahrung dafür benutzt, ein wehrloses junges Mädchen zu beeindrucken. Was ist, wenn sie ihm seine Geschichten geglaubt hat und aufgrund dessen nach London ausgerissen ist? Dann trüge Hensley die Schuld an ihrem Verschwinden.«
    »Um ihre Mutter zu finden? Ja, so könnte es sich zugetragen haben. Trotzdem hätte ich Emma mehr Verstand zugetraut.«
    »Daran, dass sie verschollen ist, besteht kein Zweifel. Wenn sie nach London gegangen wäre, um ihre Mutter zu suchen, wäre Mrs. Ellison doch bestimmt benachrichtigt worden, damit sie weiß, dass ihre Enkelin dort angekommen ist und dass ihr nichts passiert ist. Wenn Mrs. Mason Emma nicht sogar

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