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Zeit der Raben - Ein Inspektor-Rutledge-Roman

Titel: Zeit der Raben - Ein Inspektor-Rutledge-Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charles Todd Ursula Gnade
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gut zu erkennen sein.
    Was er vorfand, traf ihn unerwartet. Die jungen Männer aus dem Dorf waren nicht aus Frankreich nach Hause gebracht worden, doch in einem Garten hatte man Grabsteine für sie aufgestellt, die ihm trostlos erschienen, obgleich jeder einen Namen trug.
    Der kalte Wind hatte weiteren Regen mitgebracht. Rutledge stand da und blickte auf die Reihe von leeren Gräbern und empfand eine Traurigkeit, die tiefer ging als sein Mitgefühl für die Toten der Ortschaft. Sie galt dem, was sie alle, die Lebenden und die Toten, in den vier Jahren des Leidens verloren hatten.
    Hamish blieb stumm, weil auch er nur ein Grabstein auf einem einsamen Kirchhof war, denn seine letzte Ruhestätte war eine schlammige Grube in Frankreich.
    »Dort gibt es Mohnblumen«, sagte Hamish schließlich. »Sie werden wieder wachsen.«
    Rutledge konnte die Mohnblumen auf den Patronenhülsen sehen und hörte wieder, wie der Schuss eines Revolvers seinen schweren Motor übertönte, und die Rufe der Krähen, als sie erschrocken aufstoben. Die Kugel, die so dicht an ihm vorbeigeflogen war, dass er den Windhauch in seinem Gesicht fühlte und ihr Zischen hörte, brachte nicht nur die Erinnerung an den Krieg zurück, sondern auch an seine Bereitwilligkeit, für das, was er getan hatte, zu sterben.
    Aber nicht so. Nicht von jemandem erschossen, der sich in den Schatten verbarg, keine Realität besaß und nicht das Recht hatte, sich als sein Scharfrichter aufzuspielen.
    In Maryanne Brownings Haus in London hatte alles begonnen.
    Und es war höchste Zeit, dass er zu den Anfängen zurückkehrte
und herausfand, was am Silvesterabend schiefgegangen war.
    Er konnte Rufe hören und blickte zerstreut auf.
    Hamish sagte: »Das ist dieser Pfarrer.«
    Es war tatsächlich Mr. Towson, der ihn mit dünner Stimme durch Wind und Regen rief. Er stand auf der Veranda vor seinem Haus.
    »Sie holen sich den Tod, wenn Sie noch länger dort herumstehen, junger Mann. Kommen Sie herein und trinken Sie eine Tasse Tee, bevor mich schon allein Ihr Anblick erfrieren lässt.«

13.
    Rutledge sprang durch die Pfützen auf dem Friedhof, fand das Tor in der Mauer, das zum Pfarrhaus führte, und erreichte die Veranda wie ein klatschnasser Hund. Er fragte sich, was der Pfarrer wohl davon halten würde, wenn er sich heftig schüttelte. Weniger, um das Wasser abzuschütteln, sondern vor allem die Stimmung, die sich auf ihn herabgesenkt hatte.
    Towson nahm ihm seinen Hut und seinen Mantel ab und schnalzte empört mit der Zunge.
    »Ich habe Sie gut fünfzehn Minuten lang dort draußen beobachtet. Es ist ja schön und gut, den Toten seinen Respekt zu erweisen, aber was Sie tun, ist reine Dummheit. Ich kann mir nicht vorstellen, dass es unter unseren Toten Menschen gab, die Sie kannten.«
    Rutledge folgte ihm ins Wohnzimmer, das im Schein einer einzigen Lampe ziemlich düster war.
    »Ich habe das Grab eines Mr. Letteridge gesucht. Grace Letteridges Vater.«
    »Ah. Das ist näher am Pfarrhaus als der Garten mit den Ehrenmälern, in dem Sie gestanden haben.« Er breitete Rutledges Mantel auf einem Stuhlrücken aus und bückte sich, um ein Streichholz an die Holzscheite zu halten, die bereits im Kamin aufgeschichtet waren. »So setzen Sie sich doch. Warum wollten Sie ihn finden? Clifford Letteridge ist schon vor fünf Jahren gestorben, würde ich meinen. Ja, es muss knapp fünf Jahre her sein, dass er gestorben ist.«

    »Ich habe vor einer guten Stunde seiner Tochter einen Besuch abgestattet. Das Gespräch mit ihr hat mich neugierig auf ihn gemacht.«
    »Das wundert mich gar nicht. Sie ist verbittert, die junge Grace, und ich könnte nicht behaupten, dass ich es ihr verüble. Sie hat ein trauriges Leben hinter sich und doch ist eine prächtige junge Frau aus ihr geworden. Ihrem Vater hat sie das bestimmt nicht zu verdanken. Ich wünschte nur, sie könnte einen Teil der Wut ablegen, die sich in ihr angestaut hat.«
    »Sie hat mir erzählt, er hätte sich bewusstlos getrunken.«
    »Schon lange, bevor er gestorben ist, war sein Herz tot, das ist die volle Wahrheit. Er hat Essen auf den Tisch gestellt und dafür gesorgt, dass sie Kleider am Leib und ein Dach über dem Kopf hat, und sonntags hat er sie mit strikter Regelmäßigkeit in die Kirche geschickt, aber darin hat sich seine Väterlichkeit auch schon erschöpft.«
    »Es wundert mich, dass sie nicht früh geheiratet hat, und sei es auch nur, um einem so gefühllosen und sinnentleerten Leben zu entkommen.«
    Towson lächelte. »Ich

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