Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Zeit der Raben - Ein Inspektor-Rutledge-Roman

Titel: Zeit der Raben - Ein Inspektor-Rutledge-Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charles Todd Ursula Gnade
Vom Netzwerk:
zumindest sollte ich dort sein. Eine andere Angelegenheit hat mich kurzfristig nach London geführt. Kannst du mir Mrs. Channings Adresse geben? Ich würde mich gern mit ihr in Verbindung setzen.«
    »Warum um alles in der Welt? Erzähl mir bloß nicht, dass du glaubst, sie könnte dir bei deinen Ermittlungen behilflich sein!«
    Er lachte. »Nein, wohl kaum, Maryanne. Wo kann ich sie finden?«
    »Sie hat einen Telefonanschluss«, antwortete sie unschlüssig und gab ihm Mrs. Channings Telefonnummer.
    »Ich will sie nicht anrufen, ich möchte wissen, wo sie wohnt.«
    »Ach so, warum hast du das denn nicht gleich gesagt?« Das Rascheln von Papieren drang deutlich durch die Leitung zu ihm, und er konnte sich ausmalen, wie sie in dieser winzigen Kammer saß und ihr Adressbuch suchte. Schließlich gab sie ihm die gewünschte Auskunft, und er legte auf.
    Mrs. Channing wohnte in Chelsea, in einem kleinen Häuschen
in der Nähe des Krankenhauses. Er hatte schon zahllose Male Zeugen in Chelsea vernommen, doch jetzt beschlich ihn Unbehagen, als er ihre Tür erreichte.
    Es verstärkte sich noch mehr durch Hamishs unbeugsamen Widerstand, der klar erkennen ließ, dass er überall anders lieber gewesen wäre.
    »Diese Frau hat mir schon an Silvester nicht behagt, und daran hat sich nichts geändert.«
    Sie öffnete ihm persönlich die Tür und sagte ohne eine Spur von Freude oder Erstaunen: »Mr. Rutledge. Oder sollte ich Sie mit Inspector anreden? Ich gehe davon aus, dass es sich nicht um einen Anstandsbesuch handelt.« Ihre Stimme war genauso, wie er sie in Erinnerung hatte, tief und unwiderstehlich.
    »Ich möchte mit Ihnen reden, wenn es Ihnen nichts ausmacht. Über die Séance«, sagte er unverblümt, und sie trat zur Seite, um ihn einzulassen.
    Er war nicht sicher, was er hier vorzufinden erwartet hatte. Wäre ihre Einrichtung exotisch gewesen, mit einem zigeunerhaften Flair oder der Aura von Tausendundeine Nacht, dann wäre es ihm leichter gefallen, sie als Schwindlerin abzutun. Eine Frau, die ihren Hokuspokus dazu benutzte, sich Zugang zu den Häusern der guten Gesellschaft zu verschaffen. Stattdessen betrat er ein Haus von der Art, die jede relativ gut situierte Witwe besitzen könnte, denn an dem Kleiderständer in der Eingangshalle hingen keine Herrenmäntel, an den Haken keine Herrenhüte und in dem kleinen Wohnzimmer, das in blassen Lavendel- und Rosétönen gehalten war, wies nichts auf den Geschmack eines Mannes hin. Sie selbst trug Schwarz mit einem weißen Spitzenkragen, nach außen hin eine ganz gewöhnliche Frau.
    Aber was verbarg sich hinter dieser Fassade?
    Sie nahm ihm gegenüber Platz und wartete. Plötzlich tat er sich schwer damit, einen Einstieg zu finden. Auf Mrs. Channings Gesicht drückte sich nichts anderes als höfliches Interesse
aus, sie hatte die Hände im Schoß gefaltet, und die kurze peinliche Stille konnte sie nicht in ihrer Gelassenheit erschüttern.
    »Sie weiß, warum du hier bist«, warnte ihn Hamish stumm.
    Schließlich sagte sie: »Sie wollten etwas über die Séance wissen, Inspector?«
    »An dem Abend, als Sie Mrs. Brownings Gäste unterhalten haben, bin ich vorzeitig aufgebrochen. Vielleicht erinnern Sie sich noch daran. Und auf der Treppe vor Ihrer Haustür habe ich etwas gänzlich Unerwartetes gefunden.«
    Er griff in seine Tasche und zog die erste der Patronenhülsen heraus, die er in seiner Wohnung aus dem Schreibtisch geholt hatte.
    Sie beugte sich vor, um sie besser sehen zu können, doch sie unternahm keine Anstalten, die Hülse in die Hand zu nehmen und sie genauer zu betrachten. »Eine Patronenhülse, das sehe selbst ich, aber ich habe keine Ahnung, um was für eine Sorte es sich handelt.«
    »Sie stammt aus einem Maxim Maschinengewehr.«
    »Was Sie nicht sagen«, bemerkte sie dazu und lehnte sich auf ihrem Stuhl zurück. »Warum sind Sie damit zu mir gekommen? Dachten Sie, sie gehört mir?«
    »Sie hätte für Sie bestimmt sein können. Jeder, der wusste, wer an jenem Abend eingeladen war, hätte annehmen können, dass eine Frau ohne Begleitung vermutlich nicht so lange bleiben würde wie die Paare. Aber ich habe einen unerwarteten Anruf vom Yard erhalten und daher war ich der Erste, der das Haus verlassen hat.«
    Sie lächelte. »Mein guter Inspector, wenn ich diese Patronenhülse gesehen hätte, hätte ich keinen einzigen Gedanken daran verschwendet. Und wenn Dr. Gavin vor Ihnen aufgebrochen wäre, glaube ich nicht, dass er ihr auch nur die geringste Beachtung geschenkt

Weitere Kostenlose Bücher