Zeit der Raben - Ein Inspektor-Rutledge-Roman
Chor waren eher schlicht, und hinter dem Altar hing ein bemaltes altes Kruzifix aus Holz.
Gräber gab es keine, da die Kirche für Kreuzritter und elisabethanische Damen nicht alt genug war. Es gab auch nur wenige Statuen. Er fand jedoch eine hübsche Gedenktafel, die an einen Mann erinnern sollte, der mit Gordon im Sudan gedient hatte. Sein Name - Harkness hieß er -, sein Rang, seine Lebensdaten und die Insignien seines Regiments waren mit Messing in den Stein eingelegt. Rutledge fragte sich, ob er der letzte männliche Nachkomme der Familie gewesen war und einer entfernten Cousine, Mary Ellison, den Vorrang abgetreten
hatte, für den Fortbestand der weiblichen Linie zu sorgen.
Er kehrte in den Turmaufgang zurück und sah die schmale Treppe auf einer Seite, die durch ein quadratisches Loch in der Decke verschwand. Die Stufen der ersten Treppe waren aus Stein und standen somit in Einklang mit der Bauweise der Kirche, doch er konnte schnell erkennen, dass die nächste Stiege aus offenen hölzernen Stufen bestand. Das waren keine allzu erfreulichen Aussichten.
Er erreichte den nächsten Bauabschnitt des Turms und konnte gerade noch den Glockenstrang sehen, der in der Dunkelheit hoch über seinem Kopf verschwand. Er blickte an seinen Füßen vorbei nach unten, wo der Strang wie eine hypnotisierte Schlange frei schwebend mitten in der Luft hing und nirgends hinführte. Nur, dachte er, waren weder Kopf noch Schwanzende zu sehen. Er packte die Kanten der schmalen Stufen, hielt sich daran fest und stieg eine weitere Treppe hinauf, Hand über Hand, um festen Halt zu haben. Und er verkniff es sich, nach unten zu schauen, denn die Stiegen waren an den Außenmauern angebracht und in der leeren Mitte tat sich ein Schacht aus Dunkelheit auf. Über sich konnte er, wenn er den Strahl seiner Taschenlampe nach oben richtete, die große bronzene Glocke sehen.
Noch eine Treppe und der Schlagring der Glocke nahm den Raum ein. Der Glockenschwengel schwankte leicht in der kalten Luft, die durch die Öffnungen der Schallfenster auf allen vier Seiten eindrang.
»Dieser Luftzug muss von den Cairngorms im schottischen Hochland kommen«, sagte Hamish.
Rutledge war so verblüfft, dass er danebentrat und fluchte, als sein Körper über dem bodenlosen Abgrund hing, der sich neben ihm auftat. Aber seine Hände hielten das raue Geländer fest genug umfasst und er konnte sich gleich wieder hochziehen und in Sicherheit bringen. Er verspürte eindeutig ein flaues
Gefühl in der Magengrube, bis sein baumelnder Fuß wieder auf das feste Holz gefunden hatte.
Ein weiteres Dutzend Stufen und er war am oberen Ende der Glocke angelangt, wo sie mit massiven Balken oben im Turm befestigt war.
Die Uhr war an der Außenseite des Bogenfensters aufgehängt, das zum Dorf wies.
Und über seinem Kopf verschwand eine primitive Leiter in der Turmspitze. Er richtete den Schein seiner Taschenlampe in die Dunkelheit über sich und konnte das hölzerne Gerippe des Turms sehen, auf das er gebaut war, wie ein Achteck, das sich mit zunehmender Höhe von Fuß zu Fuß mehr verengte. Wie alt war diese Leiter? Das Gewicht eines Jungen könnte sie vielleicht noch tragen, aber was war mit dem Gewicht eines ausgewachsenen Mannes?
Rutledge sagte sich: Ich muss nicht noch höher hinaufklettern …
Aber er wusste, dass es sein musste. Der Abstieg stand auf einem ganz anderen Blatt, und er war noch nicht bereit, sich Gedanken darüber zu machen.
Die Leiter war stabiler, als er erwartet hatte, und mit einem Seufzer der Erleichterung begann er sie hinaufzusteigen.
Als er das erste Fenster erreichte, stellte er fest, dass es dem Dorf zugewandt war, wogegen man durch das Fenster auf der gegenüberliegenden Seite einen Blick auf die Felder hatte.
Aber das nächste Fensterpaar, das nach Norden und Süden ausgerichtet war, bot ihm einen Ausblick auf Frith’s Wood aus der Vogelperspektive, und von hier aus konnte er mehr Einzelheiten erkennen, als er erwartet hatte. Er schlang seine Arme fest um die Holme der Leiter und hob den Feldstecher an seine Augen. Damit hätte er jede Bewegung über die gesamte Breite des Wäldchens und sogar im dichten Unterholz halbwegs verfolgen können. Insbesondere um diese Jahreszeit, wenn die Bäume kahl waren und sogar das Gestrüpp und das Unkraut
nur aus blattlosen Halmen und dornigen Strängen bestand. Es war interessant zu sehen, wie nah er all das heranholen konnte. Mit Sicherheit viel besser als vom Dachboden des Pfarrhauses.
Wer hätte
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