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Zeit der Raubtiere

Zeit der Raubtiere

Titel: Zeit der Raubtiere Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Liza Klaussmann
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Mutter hatte sie nichts von dem Mann erzählt, nichts davon, wie er gestöhnt und sich dann vor der Toilette die Hosen nass gemacht hatte, nichts von dem kleinen dunklen Fleck, der sich vorn an ihm weiter und weiter ausgebreitet hatte. Stattdessen hatte sie fünf Minuten lang in der Mädchenschuhabteilung an den roten Riemchensandalen herumgefingert, bis ihre Mutter schließlich nachgegeben und sie ihr gekauft hatte.
    »Ich glaube nicht, dass da jemand schläft«, sagte Ed und ging tiefer in den Unterstand hinein. Daisy begann zurückzuweichen.
    »Doch, ich glaube schon«, sagte sie. »Wir hauen jetzt besser ab. Ich finde es nicht gut hier.«
    Ed packte sie so fest am Arm, dass ihr das Schnurarmband schmerzhaft ins Handgelenk schnitt. Sie blieb stehen. Ed ging noch einen Schritt auf die höckrige Karodecke zu, bückte sich und streckte den Arm danach aus.
    »Hör auf!«, sagte Daisy. Es klang, als hätte sie es unter Wasser gesagt. 
    Ed zog langsam die Decke hoch.
     
    Die Väter wurden herbeordert. Daisy hörte ihre Mutter nach Boston telefonieren.
    »Verdammt noch mal, sie hat die Leiche gesehen, Hughes!«
    Dann schwieg sie, und aus dem Hörer drang, nur als leises Gemurmel vernehmbar, die Stimme ihres Vaters.
    »Das weiß man noch nicht genau. Manche sagen, es könnte irgendeine Hausangestellte sein, eine von den Portugiesinnen wahrscheinlich.«
    Ihre Mutter schwieg wieder.
    »Ich habe sie ja nicht gesehen«, sagte sie kurz darauf und fuhr sich mit den beringten Fingern durchs Haar. »Nein, ich habe sie nicht gefragt. Ich weiß ehrlich gesagt nicht, was ich tun soll. Du musst herkommen. Und noch was, Hughes – ruf Avery an und bring ihn dazu, ins nächste Flugzeug zu steigen. Keine Ausreden! Der Junge ist sowieso schon viel zu viel für seine arme Mutter, und diese Sache macht es garantiert nicht besser.«
     
    Daisy wurde in heißes, mit Epsom-Salz versetztes Badewasser gesteckt. Ihre Mutter saß auf der taubenblauen Toilette, nippte an ihrem schwarzen Kaffee und beobachtete sie. Daisy wusste nicht, was sie herausfinden wollte, und fühlte sich unbehaglich. Sollte sie weinen? Immerhin war ein Mädchen gestorben. Aber ihr war nicht nach Weinen zumute. Sie hätte gern mit Ed darüber gesprochen, doch den hatte sie nicht mehr gesehen, seit sie mit rotem Kopf und zitternd vor Aufregung ins Haus gerannt und auf der Suche nach ihrer Mutter durch die Zimmer gelaufen war, um ihr zu sagen, sie solle die Polizei rufen.
    »Wo ist Ed?«, fragte sie nach einer Weile.
    »Weiß ich nicht«, sagte ihre Mutter, erhob sich von der Toilette und ging neben der Wanne in die Knie. »Wir müssen dir auch die Haare waschen, Baby.«
    Daisy konnte sich nicht erinnern, wann ihre Mutter sie zuletzt so angesprochen hatte. Hatte sie überhaupt je »Baby« zu ihr gesagt? Sie war sich nicht sicher. Aber es klang schön, und Daisy ließ sich bereitwillig Shampoo im Haar verteilen, die Kopfhaut massieren und den Schaum am Haaransatz abstreifen.
    Ihre Mutter drehte den Wasserhahn auf und schob Daisys Kopf, leise das Lied von der winzig kleinen Spinne summend, sanft unter den warmen Strahl.
    »Fertig.« Sie hielt ihr ein Badetuch hin und mummelte sie darin ein, so wie manchmal am Strand, wenn Daisy völlig verfroren und kreischend aus dem Wasser gerannt kam.
    Daisy zog das Badetuch zurecht. Ihre Mutter fasste sie an der Schulter und betrachtete sie schweigend.
    »So, und jetzt wird der Schlafanzug angezogen«, sagte sie schließlich in gekünstelt fröhlichem Ton.
    »Aber es ist doch erst zwei, Mummy«, entgegnete Daisy.
    »Ach ja, stimmt.« Ihre Mutter lachte. »Dann zieh einfach an, was du willst, ja?«
     
    Als Daisy hinunterkam, stand ihre Mutter in der Sommerküche und betrachtete ein Hähnchen, das auf der Theke lag. Durch den getüpfelten gelben Vorhang drang Sonnenlicht herein und färbte die Küche wie das Innere einer grellgelben Zitrone.
    Ihre Mutter stand reglos da, umklammerte mit beiden Händen die Kante der polierten Holztheke und starrte das rohe Huhn an, als würde es sich jeden Moment aufrichten und ihr etwas Wichtiges mitteilen.
    »Mummy?« Daisy überlegte, ob es nun so weit war: Ihre Mutter drehte durch wie Vivien Leigh.
    »Oh.« Ihre Mutter wandte sich zu ihr um und lächelte sie an. »Ich hatte Hähnchen zum Abendessen geplant. Wenn dein Vater hier ist, meine ich. Aber ich habe keinen Appetit. Bist du hungrig?«
    »Nein«, sagte Daisy. In Wirklichkeit knurrte ihr Magen. Sie hatte das Mittagessen verpasst, und nun sah es

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