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Zeit der Raubtiere

Zeit der Raubtiere

Titel: Zeit der Raubtiere Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Liza Klaussmann
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folgen, kam aber nur langsam voran, weil sie leise sein musste. In der Eingangshalle war er nicht mehr zu sehen. Sie hätte ihn gern nach den Streichhölzern gefragt. Sie hatte Angst. Sie suchte oben nach ihm, dann draußen, aber er blieb verschwunden.
     
    Daisy aß gerade eine Auster, als Anita auftauchte. Sie hatte eine Weile auf der Veranda gewartet, bis ihre Eltern und deren Gäste auf den Rasen herausgekommen waren. Dann hatte sie sich neben der Austernbar postiert und den Mann mit dem Gesichtsschutzschild gebeten, ihr ungeachtet der Leute, die geduldig hinter ihr warteten, eine Wellfleet nach der anderen zu öffnen.
    »Hey, lecker«, sagte Anita. »Krieg ich auch eine?«
    Als Daisy sich umdrehte, fielen ihr fast die Augen aus dem Kopf, denn Anita trug Schwarz. Daisys Mutter hätte ihre Tochter lieber umgebracht, als sie Schwarz tragen zu lassen, und Anitas Anblick versetzte ihr einen neidvollen Stich.
    »Woher hast du das Kleid?«
    »Das hat mir meine Mutter in New York gekauft, als sie dort auf Tournee war. Deins gefällt mir aber auch. Schwarz und Weiß. ›Spart alle Kerzen, Nacht ist hell genug‹.« Den letzten Satz untermalte Anita mit einer schwungvollen Handbewegung und verharrte ein paar Sekunden lang in dieser Pose. Dann sagte sie zu Daisy: »Wir sind ein Paar.«
    »Ach so.« Anita tat Daisy ein bisschen leid. »Also, ich suche schon die ganze Zeit nach Ed, aber er ist verschwunden.«
    »Wirklich? Meinst du, er ist entführt worden?« Anita griff nach einer von Daisys Austern.
    »Nein, er ist nicht entführt worden.«
    Anita schlürfte den Saft aus der Schale; dann sah sie sich um. »Tolle Party.«
    Die Top Liners hatten sich warmgespielt, und die Musik ließ den tiefen Mond noch heller am dunkler werdenden Himmel leuchten. Weiße Smokingjacken schwammen in einem Meer von Kleidern – pudriges Rosa und Lavendel, beige Seide, taubenblaues Leinen. Blonde Köpfe beugten sich fröhlich ihren dunkelhaarigen Begleitern entgegen. Das Klirren der Eiswürfel in den Lowballgläsern und Gelächter durchschnitten die Musik. Ein Glühwürmchen tanzte über Daisys Arm durch die Luft. An ihren unsichtbaren Drähten schaukelten die japanischen Lampions, und alles jenseits ihres Lichts verlor sich in der Nacht.
    »Meinst du, wir können uns heimlich ein Glas Champagner beschaffen?«
    »Aussichtslos«, erwiderte Daisy. »Meine Mutter würde uns beide umbringen.«
    »Schade.«
    »Hallo, Mädchen!« Daisys Vater trat von hinten zu den beiden. »Amüsiert ihr euch?«
    »Hi, Daddy.« Daisy fand, dass ihr Vater in seiner Smokingjacke wie William Holden aussah. »Das ist Anita.«
    »Es ist mir ein Vergnügen«, sagte Daisys Vater, beugte sich hinunter und gab Anita die Hand. »Also, wie findet ihr die Party?«
    »Absolut umwerfend, Mr. Derringer. Ein richtiger Knüller.«
    »Sehr gut«, sagte Daisys Vater kichernd. »So, und was trinken die Damen? Der Barkeeper kann euch bestimmt schnell einen Shirley Temple machen.«
    »Das wäre ganz wunderbar«, sagte Anita.
    »Okay«, murmelte Daisy und seufzte.
    Sie folgten Daisys Vater zur Bar. »Wenn ich es mir recht überlege«, sagte er und wandte sich zu den Mädchen um, »was haltet ihr von einem winzigen Tröpfchen Wein in ein bisschen Wasser? Das würde doch gleich mehr Spaß machen, oder?«
    »O ja, bitte!« Anita nahm den Vorschlag geradezu atemlos auf.
    Daisys Vater hob die Hand. »Zwei Tropfen Wein in zwei Gläsern Wasser für die beiden Damen hier.« Er zwinkerte dem Barkeeper zu. »Und nur dieses eine, ja? Geht doch mal zur Band hinunter und hört ein bisschen zu.«
    Daisy und Anita machten sich, vorsichtig die Gläser haltend, auf den Weg zum Podium. Sie blieben an der Seite stehen und sahen den Musikern zu, während auf der hölzernen Plattform Paare tanzten. Eine Frau hatte ihre Stöckelschuhe ausgezogen und tanzte auf dem weichen Gras mit ihrem Ehemann, der, weil er noch Schuhe trug, immer wieder auf dem Abendtau ausrutschte. Sie lachten und hielten sich gegenseitig an den Schultern fest, um nicht die Balance zu verlieren. Der Anblick brachte auch Daisy zum Lachen, und sie vergaß, was sich kurz zuvor im Haus ereignet hatte. Ihr fiel auf, dass der Banjospieler sie unverhohlen anstarrte. Sie erwiderte seinen Blick, er lächelte, und sie durchfuhr ein aufregendes Gefühl. Einen Moment lang glaubte sie anzuschwellen, so groß zu werden wie der gelbe Mond und gleich zu platzen, da ertönte die Stimme ihrer Mutter und rief sie auf die Erde zurück.
    »Schau mal, wen ich

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