Zeit der Raubtiere
gehen würde, nicht gehen konnte, und betrachtete seine Füße, während sie sich ankleidete.
»So, ich glaube, jetzt dürfte meine Erscheinung selbst einem Pfarrer züchtig genug sein«, sagte Eva schließlich. Es war witzig, aber sie klang müde, als sie es sagte.
Hughes hob den Blick und empfand eine merkwürdige Enttäuschung darüber, sie ganz in blauen Wollstoff gehüllt zu sehen, der an der Taille mit einem Gürtel gerafft war.
»Sagen Sie bloß nicht, dass Sie jetzt keine Lust mehr haben, mich auf den Drink einzuladen«, sagte sie, als wäre er derjenige, der sich nicht angemessen verhielt. »Außerdem sehen Sie so aus, als könnten Sie einen gebrauchen. Sie sind ja ganz bleich. Hoffentlich sind Sie nicht krank.«
Hughes hätte sie am liebsten geohrfeigt, aber er wollte sich um keinen Preis von einer Frau, die es nicht schaffte, die Kleider anzubehalten, kleinmachen und demütigen lassen.
»Ja, ich glaube auch, dass ich einen gebrauchen kann«, sagte er, um einen leichten Ton bemüht. »Es passiert nicht jeden Tag, dass sich mir eine Frau an den Hals wirft.«
Eva errötete. Hughes empfand es als eine kleine Genugtuung.
»Ja, und ich weiß auch, warum«, stieß Eva hervor. »Weil Sie sich wie ein dummes kleines Mädchen benehmen.«
Hughes öffnete die Tür, und Eva trat, nachdem sie ihre Handtasche vom Schreibtisch genommen hatte, in den hell erleuchteten Gang hinaus.
»Wir gehen in die Causerie«, sagte sie. »Da gibt es ein reichhaltiges Buffet, von dem man für den Preis der Getränke essen kann, so viel man will.«
»Klingt gut.« Hughes hatte beschlossen, sie auf exakt einen Drink einzuladen, sich dann aus dem Staub zu machen und die Nacht in irgendeiner Rotkreuzstation zu verbringen.
»Damit umgehen sie die Preisbeschränkungen. Ziemlich dreist.«
Die Bar war ganz in Grün und Rosa gehalten. Auf einem Buffettisch an der Seite stand eine Auswahl an Fleisch und geräuchertem Fisch, Bohnen und anderen kleinen Gerichten. Ein Kellner begrüßte die beiden neuen Gäste.
»Guten Abend, Lady Eva. Ein Tisch für zwei Personen?«
»Ja bitte«, sagte Eva und spähte an dem Kellner vorbei nach hinten. »Der da drüben in der Ecke vielleicht.« Sie deutete mit ihrer Tasche darauf.
Der Tisch stand am Fenster, das allerdings keinen Ausblick bot, weil die Scheiben mit Verdunkelungsblenden abgedichtet waren. Der Kellner rückte für Eva einen Stuhl zurecht. Hughes setzte sich ihr gegenüber, stand aber sofort wieder auf.
»Entschuldigen Sie mich bitte«, sagte er.
»Selbstverständlich«, erwiderte Eva stirnrunzelnd.
Hughes kehrte ins Foyer zurück und fragte nach den Waschräumen. In der Herrentoilette betrat er eine der Kabinen, merkte dann aber, dass er eigentlich gar nicht pinkeln musste. Er zog den Reißverschluss zu und ging wieder zu den Marmorbecken hinaus. Eine Bedienstete drehte den Wasserhahn für ihn auf und reichte ihm ein kleines Stück Seife. Hughes hielt die Hände unter das warme Wasser und blickte in den Spiegel. Er sah wieder Evas nackten Körper vor sich, das dunkle Haar zwischen ihren Schenkeln. Ihm wurde bewusst, dass er sich wie ein Tugendbold benommen hatte; er schämte sich ein bisschen. Er dachte an ihre Augen, ihren aufrichtigen Blick. Nichts in ihrer Miene hatte darauf hingedeutet, dass sie ihn verführen wollte, sie hatte nicht die Lider gesenkt, wie es viele Mädchen beim Flirten taten. Kein einziges intimes Wort war gefallen. Sie war nur auf ganz unverdorbene Weise nackt gewesen, und Hughes erkannte, dass ihn genau diese Schlichtheit oder Ehrlichkeit, oder wie immer man es nennen wollte, durcheinanderbrachte.
Er hatte noch nie eine andere Frau als Nick nackt gesehen, jedenfalls nicht vollständig nackt, außer auf ein paar französischen Postkarten. An seiner Frau gefielen ihm ihre Schönheit und ihr Wankelmut; er konnte sich immer erst in letzter Sekunde sicher sein, dass er sie bekam. So lief es zwischen ihnen beiden. Sie ging nie auf ihn zu, so wie Eva es getan hatte. Doch plötzlich empfand er diese Vorspiegelungen, diese Rollenspielerei als kindisch, unehrlich und ziemlich ermüdend.
»Sir?« Die Toilettenfrau hielt ihm ein Handtuch hin, und Hughes merkte, dass er die ganze Zeit wie ein Idiot vor dem laufenden Wasserhahn gestanden hatte.
»Danke.« Er nahm das Tuch, trocknete sich die Hände ab, verließ den Raum und ging zurück in die Causerie.
Auf dem Tisch in der Ecke wartete ein Gin Tonic auf ihn.
»Ich wusste nicht, was Sie trinken wollen, und dachte mir,
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