Zeit der Sinnlichkeit
ich am Morgen nach dieser ersten Nacht aufwachte und mir einfiel, was ich getan hatte, packte mich furchtbare Angst. Ich kniete neben meinem Bett nieder und wandte mich
an Gott: »Ich war vom Wahnsinn angesteckt, und nun bin ich unrein und voll des Teufels, aber ich will diese Dinge nie wieder tun, wenn du mir hilfst, den Teufel auszutreiben!«
Als ich zum Frühstück in die Küche kam, meinte Hannah, ich sähe blaß aus, und da ich kaum den Haferbrei hinunterbrachte, der mir vorgesetzt wurde, ja, kaum den Löffel halten konnte – so zitterten meine Hände –, gestand ich den Freunden ein, daß ich mich an diesem Morgen nicht wohl fühle.
Ich drückte mich an diesem Tag jedoch nicht vor meinen Pflichten, die einen Aufenthalt im Freien für die Insassen des William Harvey einschlossen – was immer ein schwieriges und langwieriges Unterfangen ist, da sie alle, bevor man sie hinausbringen kann, gewaschen, ja manchmal sogar von ihren eigenen Exkrementen gereinigt werden müssen. Im Laufe des Tages schwanden allmählich die Angst und Scham, die ich beim Aufwachen empfunden hatte, und machten einem heftigen Verlangen Platz, ins Margaret Fell zu gehen, Katharine an der Hand zu packen und sie vor mir her in den dunklen Raum zu treiben, um wieder mit ebendem schamlosen Tun anzufangen, dem ich doch, wie ich noch an diesem Morgen versprochen hatte, entsagen wollte.
So begann das Muster, nach dem alle meine Tage während der Zeit des Wahnsinns ablaufen sollten: jeden Morgen schwor ich mir, Katharine nie wieder, solange ich lebte, anzurühren oder ihrer Hand zu erlauben, mich zu erforschen, und jeden Abend lag ich schlaflos da und wartete nur auf den Augenblick, an dem ich in die Dunkelheit hinausschlüpfen und zu ihr gehen konnte.
Die anderen Bewohnerinnen des Margaret Fell wußten sehr bald, was wir im Operationsraum machten, und dräng
ten sich manchmal hinter der Tür und lauschten, und wenn wir dann herauskamen, krallten sich einige an mich, berührten meinen Mund und mein Geschlechtsteil und baten mich, sie auch zu nehmen. Angesichts ihres Verlangens und der Tatsache, daß sie wußten, was ich tat, fühlte ich mich ganz elend und voller Furcht, denn es war mir klar, daß sie mich früher oder später durch ihr Benehmen oder durch fallengelassene Bemerkungen bei den Betreuern verraten würden und daß man mich dann wegschicken würde. Ich betrog Pearce (vielleicht zum ersten Mal in meinem Leben, denn ich hatte bisher ihm gegenüber noch nie vorgegeben, ein redliches Leben zu führen, wenn ich es nicht tat), und ich betrog Ambrose und die anderen, die mich aufgenommen hatten und versuchten, mich zu einem der ihren zu machen. Aber vielleicht noch schrecklicher war, daß ich Katharine betrog, die mich liebte und mich bat zu schwören, daß ich sie auch liebte und daß ich sie, wenn ich das Whittlesea einmal verlassen sollte, mitnehmen würde. Und ich schwor es. Die Wahrheit aber war, daß ich sie überhaupt nicht liebte. Mitleid hatte mich zu ihr hingezogen, und meine plötzlich übermächtig und wahnsinnig gewordene Lust hielt mich bei ihr im Dunkeln fest. Wenn ich mich fragte, ob ich sie im Laufe der Zeit lieben lernen würde, dann wußte ich die Antwort: Die Wahrscheinlichkeit, daß ich Katharine lieben lernen würde, war so gering wie die Wahrscheinlichkeit, daß Celia mich jemals lieben würde.
Nach ungefähr fünf Wochen meiner Zeit des Wahnsinns, in denen mein Tun unentdeckt geblieben war, hörte ich, als ich eines Nachts gegen ein Uhr zu meinem Zimmer zurückkam, eine Stimme nach mir rufen: »Merivel!«
Ich stand leicht zitternd im Gang, davon überzeugt, daß Robert nun also entlarvt worden war und als Merivel vorgeladen wurde, um seine Strafe entgegenzunehmen. Ich wartete, und die Stimme rief wieder: »Merivel!« Jetzt merkte ich, daß es die Stimme von Pearce war, und ging langsam zu seinem Zimmer.
Ich öffnete die Tür. Neben seinem Bett brannte eine Kerze, und er lag auf der Seite, das Gesicht nahe am Licht, und streckte mir eine seiner dünnen Hände mit der Handfläche nach oben wie ein Bettler entgegen.
»John«, sagte ich, »was möchtest du?«
»Merivel …«, sagte er noch einmal, und seine Stimme klang belegt wegen seines alten Katarrhs, »ich habe auf dich gewartet …«
»Auf mich gewartet?«
»Daß du zurückkommst. Ich habe gehört, wie du weggegangen bist, und ich habe darauf gewartet, daß du zurückkommst, damit ich dich rufen kann, ohne die anderen aufzuwecken.«
»Ja«, sagte
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