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Zeit der Sinnlichkeit

Zeit der Sinnlichkeit

Titel: Zeit der Sinnlichkeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rose Tremain
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einen Spiegel vor die Nase. Ich schielte nach mir. Es war ein jammervoller Anblick, einer, an den ich noch lange denken werde. Ich hatte die Masern.
    Ich will Euch nicht die Beschwerden dieser Krankheit schildern. Es genügt, wenn ich festhalte, daß ich mehrere Tage lang von Schmerzen geplagt wurde, Schmerzen, die nur durch die häufige Einnahme von Laudanum, das ich mir selbst verschrieben hatte, gelindert wurden. Diese versetzten jedoch
mein Gehirn in eine Art Delirium, so daß ich weder mein Zimmer noch Will darin wiedererkannte, sondern mich abwechselnd in Whitehall, in der Werkstatt meiner Eltern, in der stinkenden Wohnstube der Weisen Nell oder auf einem Boot mit einer Plane wähnte.
    Als der Schmerz schließlich nachließ und ich still daliegen konnte, ohne zu stöhnen, wußte ich, daß sich jetzt ein Schlaf an mich heranschleichen würde, so tief, daß er mich wie der Tod umhüllen würde. Er hielt mich jeweils wohl fünfzehn oder sechzehn Stunden lang hintereinander fest. Dann erwachte ich und fand neben meinem Bett Will oder Cattlebury mit einer kleinen Tasse Fleischbrühe vor, die ich zu nippen versuchte. Danach pißte ich schwach in meinen Topf, legte mich wieder zurück und war in wenigen Minuten erneut in diesen samtenen Schlaf gesunken, der, wie ich einmal bei mir dachte, nicht nur dem Tode ähnelte, sondern auch der Kindheit, und ich sann töricht über die Möglichkeit nach, in einer schöneren und ernster zu nehmenden Gestalt wiedergeboren zu werden.
    Doch das geschah natürlich nicht. Ich wurde zwei Wochen später schrecklich geschwächt und mit Schorf bedeckt »wiedergeboren«. Ich setzte mich auf und sah Will auf einem Stuhl sitzen. Er trug seinen Überwurf. »Danke, Will«, sagte ich. »Auch dafür, daß du dich so gut um mich gekümmert hast. Ohne dich wäre es schlecht um mich bestellt gewesen.«
    »Geht es Euch besser, Sir?«
    »Ich glaube schon. Wenn ich mich auch noch etwas schwach und ausgehöhlt fühle …«
    »Fühlt Ihr Euch gut genug für Neuigkeiten?«
    »Neuigkeiten?«
    »Ja. Über Euren Haushalt.«
    »Du meinst über dich und Cattlebury und die anderen Bediensteten?«
    »Nein, Sir. Ich meine über Eure Frau, deren Dienerin, Mister Finn und den Musikmeister. Sie sind alle weg. Nach London.«
    »Celia ist weg?«
    »Ja, Sir. Mit all ihren Kleidern und Fächern und sonstigem.«
    »Aber das Portrait …«
    »Fertig. Und noch am gleichen Tage schickte der König eine seiner Kutschen, und sie stiegen alle ein, und weg waren sie.«
    Ich legte mich wieder hin. Ich starrte zu meinem türkisfarbenen Baldachin hinauf. »Das ist also das Ende«, hörte ich mich sagen. »Sie wird nie wieder zurückkommen. Welchen Tag haben wir heute, Will?«
    »Den zweiundzwanzigsten, Sir. Februar.«
     
    Eine Woche später, als ich an meinem Kamin saß und mit leerem Blick ins Feuer schaute, brachte mir Will einen Brief. Er war, wie ich es nicht anders erwartet hatte, vom König. Das heißt, er war nicht von ihm selber, sondern von einem seiner Sekretäre und enthielt die folgende Aufforderung:
     
    »Seine Gnädige Majestät, König Charles II .
    Herrscher des Königreichs befiehlt:
     
    Daß Sir Robert Merivel sich im Whitehall-Palast nicht später als vier Tage nach Erhalt dieses königlichen Schreibens einfindet.
    Gezeichnet: Sir J. Babbacombe. Sekretär.«
     
    »So«, sagte ich zu Will, der mir die Mitteilung gebracht hatte, »Finn hat seine Arbeit getan.«
    »Wie bitte, Sir?«
    »Schon gut. Der König beordert mich nach London, Will. Doch nicht, um mich zu loben.«
    »Ihr seid für eine Reise nach London noch zu schwach, Sir.«
    »Ich habe keine andere Wahl, Will. Ich reite nicht, sondern nehme die Kutsche. Vielleicht wärst du so nett, mich zu begleiten?«
    »Sehr gern, Sir Robert.«
    »Wir fahren also morgen früh. Sieh nach, ob mein schwarzgoldener Rock und meine goldene Kniehose sauber sind.«
    »Ja, Sir.«
    »Und lege den Überwurf zusammen, der für meine Frau bestimmt war. Wir bringen ihn dem König als Geschenk. Obwohl ich befürchte –«
    »Was, Sir?«
    »Daß eine Gabe dieser Art nicht ausreichen wird.«
     
    Ich will mich nicht mit den Einzelheiten dieser Reise aufhalten, sondern nur aufzeichnen, daß Will, als wir nach Mile End kamen und er in der Ferne den Tower und die Türme von London erblickte, aufgeregt wie ein Kind wurde, da er an all das Wunderbare dachte, dessen Zeuge er, der die ganzen neununddreißig Jahre seines Lebens in Norfolk verbracht hatte, nun zum ersten Male werden

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