Zeit der Skorpione: Laura Gottberg ermittelt (German Edition)
Fünfundvierzig Minuten.»
«Ciao.»
«Servus.»
Lächelnd legte Laura auf. Rupert Kilian hatte auch damals zum Abschied stets Servus gesagt und zur Begrüßung Salve . Außerdem kannte er alle möglichen lateinischen Sprichwörter oder Merksätze. Laura mochte das, es erinnerte sie an ihren Vater. Der alte Gottberg versuchte bis heute, seine Tochter von der Notwendigkeit klassischer Bildung zu überzeugen. Schließlich, so behauptete er, trage sie mit Sicherheit römische Gene in sich. Mit einer toskanischen Mutter und einem bayerischen Vater. Die Römer hätten ihre Gene nachweislich in halb Europa hinterlassen.
Laura akzeptierte seine Bemühungen nur punktuell. Sie hatte Latein in der Schule gehasst … Gene hin, Gene her. Aber dass Hauptkommissar Kilian Salve und Servus sagte, das gefiel ihr. Manchmal ließ sie gegenüber Kriminaloberrat Becker ein lateinisches Sprichwort fallen – auch wenn die Grammatik etwas schräg klang. Becker ahnte davon nichts, denn er hatte nie Latein gelernt, aber es ärgerte ihn. Laura war sich ihrer Boshaftigkeit durchaus bewusst, aber sie freute sich jedes Mal über den roten Kopf ihres Chefs. Wie ein Schulmädchen, das einem mäßig beliebten Lehrer einen Streich spielt.
Angesichts der bevorstehenden Ermittlungen verfluchte Laura Peter Baumanns Neigung zu nächtlichen Fast-Food-Ausflügen. Sie stieß einen lauten Seufzer aus. Dann klemmte sie sich den Aktenordner unter den Arm, warf sich den kleinen Rucksack über die Schulter und machte sich auf nach Haidhausen.
In der Eingangshalle traf sie Becker, der ebenfalls auf dem Weg nach draußen war – mit großen Schritten und wehenden Hosenbeinen, als wäre er mit dem Innenminister verabredet und bereits spät dran. Er erinnerte Laura an Politiker, die generell niemals langsam gingen, sondern sich stets in einer Art Laufschritt bewegten, meist gefolgt von einem Tross aus Bodygards und Mitarbeitern. Der wichtige Laufschritt der Wichtigen, die keine Sekunde vergeuden durften.
«Haben Sie eine Minute, Chef?», unterbrach Laura Beckers Lauf.
«Eigentlich nicht, aber wenn es schnell geht.» Er eilte weiter, und Laura hatte Mühe, an seiner Seite zu bleiben.
«Es geht um zwei Dinge: Haben Sie diesen Aktenordner durchgelesen, ehe Sie ihn mir gegeben haben? Und zweitens: Ich brauche Verstärkung. Baumann wird länger ausfallen, und diese Geschichte sieht verdammt groß aus!»
«Natürlich habe ich die Akte gelesen. Dieser Staatsanwalt übertreibt meiner Meinung nach ganz schön. Kein Wunder, dass die italienischen Gerichte nicht mehr fertig werden mit all den Bergen von Ermittlungsakten.»
«Das ist nur ein Aspekt», sagte Laura außer Atem. «Das LKA hat vor einem Jahr schon einmal rund um die Hardenberg Bank ermittelt. Da geht es um viele seltsame Geschichten: Mafiadrohungen gegen Bankmanager und ihre Familien, Erpressungsversuche, fristlose Entlassungen wegen angeblicher Untreue und so weiter. Diese Ermittlungen wurden aber offensichtlich eingestellt, und außerdem fehlt die letzte Seite des Protokolls.»
«Ach», sagte Becker, ebenfalls außer Atem, «das ist mir gar nicht aufgefallen.»
«Können Sie nicht mal stehen bleiben!?»
«Ja, kann ich.» Becker zog ein weißes Taschentuch mit blauem Rand aus der Manteltasche und wischte sich über Stirn und Oberlippe. «Ich will Ihnen mal was sagen, Laura. Ihre Aufgabe ist es, die Anfrage des italienischen Staatsanwalts zu beantworten und Ermittlungshilfe zu leisten. Mehr nicht. Dieses Protokoll vergessen wir am besten. Die Sache wurde offensichtlich eingestellt und ist damit erledigt.»
«Und warum befindet sich dieses Protokoll dann in genau diesem Aktenordner?»
«Woher soll ich das wissen? Der Ermittlungshilfeantrag wurde ans BKA gestellt, und die haben die Sache ans LKA weitergeleitet. Von denen kam auch der Ordner.»
«Also hat irgendwer beim LKA ein Interesse daran, dass wir dieses Protokoll lesen.»
«Das ist Ihre Interpretation. Vielleicht war es ein schlichtes Versehen. So was kommt auch bei uns vor!»
«Warum kann ich dieses Protokoll dann im internen Archiv nicht finden? Nicht einmal den geringsten Hinweis auf diese Ermittlungen?»
«Ich weiß es nicht, und im Augenblick interessiert es mich auch nicht, Laura. Ich habe eine wichtige Verabredung!»
«Ich auch, Herr Becker. Finden Sie nicht, dass diese Fragen ebenfalls wichtig sind?»
«Möglicherweise. Darüber können wir ja in den nächsten Tagen reden.» Becker setzte sich wieder in Bewegung. Langsamer
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