Zeit der Skorpione: Laura Gottberg ermittelt (German Edition)
in ihren Schreibtischsessel. Dann zog sie die Beine an, stieß sich am Tisch ab und drehte einen halben Kreis.
Ich könnte die Ermittlungen aber auch tatsächlich wiederaufnehmen. Bei einem Mord liegen die Dinge anders. Man könnte natürlich sagen, dass das eine nichts mit dem anderen zu tun hat, aber das halte ich für unwahrscheinlich.
Laura setzte die Füße wieder auf den Boden, rollte mit ihrem Sessel näher an den Schreibtisch heran und schlug den Ordner auf. Es dauerte fast zwei Stunden, bis sie alle wichtigen Namen aufgeschrieben hatte, jeweils mit einem Stichwort versehen: Erpressungsopfer, Empfänger anonymer Drohungen, Opfer einer Abhörattacke, entlassen wegen angeblicher Untreue, wegen Verrats von Bankgeheimnissen, Verdachts auf Insidergeschäfte. Sie erinnerte sich, dass einige dieser Geschichten doch durch die Presse gegangen waren.
Interessant, was in so einer Bank alles passiert, dachte Laura. Klingt wie der reinste Krimi.
Zwanzig nach zehn. Sie schloss ihre Tür auf und holte sich einen Becher Kaffee vom Automaten auf dem Gang.
Über all das würde sie sich gern mit Peter Baumann unterhalten. Vielleicht in einer Kneipe in Haidhausen. Aber wahrscheinlich wäre er sowieso nicht da, auch wenn er nicht im Krankenhaus liegen würde.
Sie kehrte in ihr Büro zurück und stellte sich wieder ans Fenster. Jetzt war der Himmel dunkel, nur die Stadt leuchtete und ließ die Sterne verblassen.
Noch immer hatte Laura keine Lust, nach Hause zu fahren. Vorsichtig schlürfte sie den heißen Kaffee. Wie bedauerlich, dass es in meinem Büro kein Sofa gibt, dachte sie, sonst könnte ich heute Abend hier schlafen. Das wäre mir sogar angenehm, angenehmer jedenfalls als die Konfrontation mit meinem zerfallenden Familienleben. Sie schob den Schreibtischsessel ans Fenster, setzte sich, stützte die Ellbogen aufs Fensterbrett und schaute auf den Platz hinterm Dom hinunter. Noch immer waren Menschen unterwegs. Gestalten, die nur deutlicher sichtbar wurden, wenn sie vor einem Schaufenster stehen blieben oder unter einer Straßenlaterne entlanggingen.
Wer ist mir eigentlich wichtig?, dachte Laura. Wirklich wichtig? Meine Kinder? Sofia und Luca sind mir am wichtigsten, oder waren es. Es wechselt – seltsam. Ich dachte immer, niemand könne jemals so wichtig für mich sein wie die beiden. Aber jetzt ist mir Angelo fast wichtiger. Er hat sich verändert, und ich habe es nicht ernst genommen.
Wieder versuchte sie eine Meditationsübung, saß da, mit geschlossenen Augen, und versuchte, auf ihren Atem zu achten. Er ging zu schnell, auch ihr Herz schlug zu schnell. Sie hatte Angst, kalte, nicht greifbare Angst. Ein paar Minuten lang versuchte sie, die Angst auszuhalten, einfach zu atmen. Es funktionierte so wenig wie am Nachmittag im Auto, deshalb machte sie die Augen wieder auf und klatschte zweimal in die Hände. Die Angst zog sich zurück, war kaum noch spürbar.
Wer ist mir noch wichtig? Mein Vater, Peter Baumann, Claudia … meine Schulfreundin Barbara, die ich nie anrufe, der alte Guerrini, mein Ex …
Noch immer hatte Angelo nicht angerufen. Warum rief sie ihn nicht an? Für irgendwelche blöden Stolz-Inszenierungen war ihre Beziehung längst zu vertrauensvoll und nahe. Nein, war sie nicht! Fernbeziehungen blieben zerbrechlich, ließen zu viel Raum für Projektionen, Phantasien, die nicht schnell genug geklärt werden konnten. Hatte sie sich das nicht schon tausendmal gesagt? Weshalb sagte sie sich das immer wieder? Um sich zu schützen, falls es doch schiefgehen sollte? Galt das nicht für alle Beziehungen, waren sie nicht alle zerbrechlich? Was wäre, wenn Angelo in München arbeiten würde? Würde sie mit ihm in eine Wohnung ziehen? Würde sie darüber nachdenken, ihn zu heiraten? Was wäre, wenn er sie ernsthaft bitten würde, nach Siena zu ziehen?
Fetzenkopfabend, dachte sie, trank ihren Kaffee aus und griff nach dem Telefon. Angelo war nicht zu Hause und sein Mobiltelefon abgeschaltet.
«Bene, Commissario!», sagte Laura ziemlich laut, «Es ist ja nicht das erste Mal.»
Sie zielte mit dem Pappbecher auf den Papierkorb, traf, schaltete das Licht aus und machte sich auf den Heimweg.
Normalerweise sind es ehrgeizige Leute, die Überstunden machen, dachte sie im Fahrstuhl. Was bin ich?
Zu dieser Stunde saßen Guerrini und Eliseo Salvia im Aglio e Olio und genossen ein Dessert aus Kastanienmus mit echter Vanille, das der Wirt, Sergente Tommasinis Bruder, ihnen wärmstens empfohlen hatte.
«Er kocht
Weitere Kostenlose Bücher