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Zeit der Sternschnuppen

Zeit der Sternschnuppen

Titel: Zeit der Sternschnuppen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Herbert Ziergiebel
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auf einem Bahnhof oder Flugplatz, nur die unangenehme Feuchtigkeit paßte nicht dazu und auch nicht die Mücken, die mir das Abschiedskonzert bereiteten.
    Jetzt, da mich nur noch Minuten von dem großen Augenblick trennten, wurde ich plötzlich von Sorge und Unsicherheit erfaßt. Eine unangenehme Vision ergriff mich: Konnten es nicht meine letzten Minuten auf der Erde sein? Es war immer nur von ihrer Rückkehr und meinem Einstieg die »Rede« gewesen – was aber, wenn sie mich als Studienobjekt mitnehmen wollten? Bei allem Wissensdrang und aller Neugier – diesen Preis wollte ich nicht zahlen. Ich mußte ihnen noch vor dem Aufstieg klar zu erkennen geben, daß ich ihre Gastfreundschaft nicht länger als vierundzwanzig Stunden in Anspruch nehmen wollte. Es wird bestimmt alles gut gehen, redete ich mir ein, riß aber dennoch eine Seite aus meinem Notizbuch und kritzelte hastig: »Hanni, sorge Dich nicht, ich werde spätestens übermorgen zurück sein. Hans«. Den Zettel klemmte ich unters Fenster.
    In der Stille erschien mir das Ticken des Weckers wie Hammerschläge. Über mir schienen die Sterne zu wandern. Die vorbeiziehenden Wolken riefen diese Täuschung hervor. Noch wenige Minuten, jeden Augenblick konnte der Nebel auf der Wiese auseinanderstieben. Stille, nur die Uhr war zu hören, hin und wieder ein Nachtvogel. Eine Minute verging, zwei, drei. Nichts. Die Zeit war herangekommen. Plötzlich zerriß ein schriller Ton die Stille. Der Wecker läutete. Ich hatte versäumt, das Läutewerk abzustellen. Es war dreiundzwanzig Uhr siebenundfünfzig.
    Die Wiese blieb unberührt.
Wie ließe sich beschreiben, was ich in diesen Stunden durchgemacht hatte? Das Gesicht von Mücken zerstochen, die Kleidung klamm, stand oder lief ich durch das nasse Gras, wartete mit stoischer Geduld, bis im Osten ein neuer Tag dämmerte. Sie waren nicht gekommen. Ein Mißverständnis mußte uns bei unserer Verabredung unterlaufen sein. Müde und enttäuscht ging ich ins Haus zurück.
    Sternbedeckung durch den Mond – was hatte ich nicht beachtet? Ich rief mir jede Handbewegung, jede Einzelheit ins Gedächtnis zurück, sah, wie sie den großen Kreis beschrieben. Nur der Mond konnte damit gemeint gewesen sein. Oder die Sonne? Dann hätten sie am Tage landen müssen. Ich zermarterte mir das Hirn, wurde ganz meschugge von dem dauernden Grübeln, fand keine Erklärung. Hatte ich das Sternbild falsch gedeutet? Aber Löwe blieb Löwe, die Sternbilder konnte ich noch unterscheiden.
    Ich wußte nicht weiter, war verärgert und entmutigt, fühlte mich gefoppt. In einer Woche lief mein Abkommen mit Gies ab, dann gab es für vierzehn Tage keine Landemöglichkeit mehr. Alles war dann umsonst gewesen, umsonst die Hoffnungen und Träume, umsonst die nervlichen Belastungen und umsonst auch die blöden Schreibarbeiten. Es war fast zuviel für mich. Furchtbar der Gedanke an die Einmaligkeit des Geschehens und an die zur Gewißheit werdende Qual, daß dies alles niemals wiederkehren werde.
    Am Abend darauf stand ich erneut hinterm Haus. Wieder vergeblich. Ich schlief kaum noch, fuhr am andern Tag mit dem Bus in die Stadt, rief die Sternwarte an und erkundigte mich nach besonderen Himmelserscheinungen. Man machte mich auf interessante Sonnenflecke aufmerksam, wies auf einige Planeten hin, die im Fernrohr besonders schön anzusehen seien. Es war sinnlos.
    Eine Woche lang wartete ich Abend für Abend auf der Wiese, schlief bis in die Mittagsstunden. Vergeblich, sie tauchten nicht mehr auf. Hatten sie es sich anders überlegt, oder war ihnen etwas zugestoßen? Mein Grübeln nutzte nichts, der gefürchtete Tag kam, Traktoren rollten zur Heuernte auf die Wiese. Abends flammten Scheinwerfer auf, Rufe hallten durch die Nacht. Mein Traum war zu Ende.
    Je länger ich über mein Fiasko nachdachte, desto mehr machte ich mir Vorwürfe. Ich mußte ihre Zeitbestimmung falsch gedeutet haben, hatte den Sachkundigen gespielt, geraten, wo exaktes Wissen am Platze gewesen wäre. Hätte ich… Ja, hätte, wenn, leider – das Leben scheint in der Hauptsache aus Versäumnissen zu bestehen. Durch meine Leichtfertigkeit war eine nie wiederkehrende Chance verspielt. Am liebsten hätte ich mich geohrfeigt.
    Meine Stimmung besserte sich auch nicht, als mir die Postbotin zwei Tage später ein Telegramm aushändigte. Darin stand der lakonische Text: »Eintreffen Donnerstag zu langer Nacht. Erwarten Kondition. Bringen alles mit. Gruß Theo«. Das hatte mir noch gefehlt. Theo und sein

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