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Zeit der Sternschnuppen

Zeit der Sternschnuppen

Titel: Zeit der Sternschnuppen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Herbert Ziergiebel
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Dackel, seine Freunde und Freundinnen, lufthungrige Städter, die Manik Maya in jedem Jahr wie ein kriegerischer Indianerstamm überfielen.
    Ich will nicht ungerecht sein, es waren immer angenehme Stunden gewesen, die wir zusammen verbracht hatten; warme Nächte am Holzkohlenfeuer bei Schaschlyk, Wein und anderen Getränken. Ein bißchen Romantik, die in unserer nüchternen Zeit so selten geworden ist. Es war die Zeit der Sternschnuppen, die Zeit des Spinnens und Träumens, und nicht nur Theo, sondern auch seine Freunde waren außerberuflich naturkundige Leute, mit denen man auch über außerirdische Probleme reden konnte. Dennoch, in meiner gegenwärtigen Verfassung erschienen sie mir wie ungerufene Eindringlinge. Ich hatte weder Verlangen nach Romantik noch nach Debatten über Kunst oder gar nach theoretischen Problemen der Raumfahrt. Über das einzige Thema, das mich bewegte, mußte ich schweigen, wollte ich nicht ihren Spott über mich ergehen lassen.
    Nein, ich hatte genug von den langen Nächten. Ich fuhr mit dem Rad zur Post, um ihnen abzusagen. Als ich das Telegramm schon geschrieben hatte, zerriß ich es wieder. Mochte die Sintflut kommen.

4
    Sie kamen, ausgerüstet wie eine Urwaldexpedition. Schon von weitem hörte ich ihr Gejohle. Aus ihren Kofferradios kreischte Musik, übertönte das Rattern der Traktoren. Das Geheul aufgeschreckter Affen konnte nicht disharmonischer klingen. Die Vögel suchten das Weite, in den Erdlöchern erwarteten die Mäuse das Jüngste Gericht. Ein Duft von Fusel und Parfüm und ein Orkan von Urwaldgeräuschen – genauso hatte ich mir ihre Ankunft vorgestellt.
    Sie waren gekommen und entschlossen, zielstrebig und hartnäckig im Nichtstun zu sein, hatten die Fesseln der Stadt schon auf dem Wege hierher abgestreift, eine Flasche entkorkt. Ihre Augen glänzten verklärt. Die Stille und Abgeschiedenheit von Manik Maya verhießen ihnen die Freuden des Paradieses. Hier gab es keine gepflasterten Straßen, keine fremden Augen, nichts, das schnurgerade gewesen wäre. Hier ließ es sich vergessen, konnte man sich gehenlassen, gegen jede Regel wohlanständiger Sitten verstoßen.
    Obwohl ich ihre Ausgelassenheit begreifen konnte, hatte ich das Empfinden, eine Invasion zu erleben. Insgeheim beneidete ich sie um dieses Abschaltenkönnen, wünschte vergeblich, es ihnen gleichzutun. Meine Probleme verfolgten mich noch immer, ließen sich nicht abschütteln. Ich fühlte mich einsamer als zuvor, kam mir vor wie unter Fremden, die eine andere Sprache redeten.
    Die beiden Mädchen, die Theo mitgebracht hatte, tanzten sorglos einen utopischen Ringelreigen um den Bratrost. Erhard betätigte sich als Feuerwerker, goß einen Liter Spiritus auf die Holzkohle und entzündete den Scheiterhaufen. Erhard war Maler. Er produzierte Bilder, eines miserabler als das andere, und befand sich in der beneidenswerten Lage, dies nie zu bemerken. Der lange Hein hatte mit dem Film zu tun. Man sagte ihm Talent und Ideenreichtum nach, und es mutet mich beinahe wie ein Witz an, daß er sich gerade jetzt mit der Regie für einen utopischen Film beschäftigte. Er hatte es sich im Liegestuhl bequem gemacht, genoß das Bild der tanzenden Feen, zeigte sich souverän und erhaben. Für ihn waren Bratrost, Wald und Bauernhaus Kulisse, was sich in seiner Nähe bewegte, Statisten, und alles zusammen eine Illusion, die sich auf Zelluloid bannen ließ. Er drehte am Radio, ließ Musik aufheulen, ausgerechnet ein Orgelkonzert.
    Ich flüchtete in die Stube, wünschte sie alle auf den Mond. In einer so ausgelassenen Gesellschaft kommt man sich mit ernsten Gedanken immer ein wenig fehl am Platze, ja sogar unanständig vor, so wie ein Bekleideter unter Nackten oder umgekehrt.
    Im Nebenraum fauchte und grollte etwas. Als ich die Tür öffnete, brachte mich ein komisches Bild zum Lachen. Waldi, Theos Dackel, und mein Kater machten sich miteinander bekannt. Im Zeitlupentempo, mit gesträubten Haaren umschlich Peppi den Dackel, diese unheimlich große, fette Ratte. Er fauchte wie ein Höllentier, wenn Waldi ihm zu nahe kam.
    In der Küche rumorten Theo und Alexius. Sie präparierten ein Spanferkel mit Gewürzen. Es duftete nach Knoblauch, Majoran und Äpfeln, nach Bier und Wodka. Alexius, Kellner in einem Speiserestaurant, beherrschte die Szene, arbeitete wie ein gewissenhafter Chirurg, vernähte das prallgefüllte Schweinchen. Die Kinder nannten ihn gewöhnlich »Onkel Bart«, weil sein Gesicht von einem pechschwarzen Vollbart umrahmt war. Er

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