Zeit der Sternschnuppen
Wetteränderung aus. Ich wünschte einen Gesprächspartner bei mir zu haben, jemanden, dem ich mich anvertrauen konnte, der mir glaubte. Aber ich mußte allein damit fertig werden und warten. Acht Tage – eine endlose Zeit.
Es war gut, daß ich die Büroarbeit für Gies übernommen hatte. Die Stunden verrannen schneller, und die ganz und gar irdischen Probleme brachten mich auf andere Gedanken. Ich rechnete, addierte Arbeitsstunden und den Zuschlag für Überstunden, zog verbummelte Tage ab, multiplizierte das Resultat versehentlich mit der Lichtgeschwindigkeit.
Die Lohnabrechnungen hatten es in sich. Dann kamen Mahnbriefe und Bestellungen bei verschiedenen Industrieunternehmen. Ich kaufte Zement und Dachbinder für künftige Ställe, Reinigungspaste für die Traktoristen und Schlosser, Kraftfutter und Trockenmilch für die Kälber. Meine Schreibmaschine hämmerte grobe Mahnbriefe an säumige Lieferanten, Drohungen mit Verzugszinsen. Ich schacherte wie ein gewiefter Geschäftsmann, drückte die Preise, wo immer es möglich war. Gies hatte immer wieder neue Einfälle, meine Tätigkeit zu verlängern. Abends, wenn ich an meinem Plakat weiterarbeiten wollte, war ich so durchgedreht, als läge die Raumfahrt bereits hinter mir.
Endlich kam der Tag, an dem mich nichts mehr im Büro hielt. Ich war beim Friseur gewesen, hatte gebadet, derbes Drillich angezogen. Alles, was ich tat, war durchdacht und zweckmäßig; ich bereitete mich auf die aufregendste Reise meines Lebens vor. Die Vergangenheit war abgestreift, abgerissen wie ein Kalenderblatt.
Jede Einzelheit hatte ich mir ausgemalt und bis ins Detail durchdacht. Auf dem Tisch lagen einige Dinge, die ich mitnehmen wollte: eine Kamera, Schreibzeug, etwas Wäsche, ein paar Fotos von meiner Frau und mir und ein Buch, das einen Überblick über das gegenwärtige physikalische Wissen unserer Zeit vermittelte. Später legte ich die Enzyklopädie wieder zurück; sie enthielt zu viele Formeln, die zu erläutern mir schwergefallen wäre. Schließlich versenkte ich mich in einen Sternatlas, versuchte vergeblich, die Herkunft der Fremden zu ergründen. Die müßigen Spekulationen erleichterten mir das spannungsgeladene Warten.
Was für ein Tag! Ich schluckte Faustan-Tabletten, als stünde mir eine mündliche Prüfung in Mathematik bevor, verglich immer wieder die Zeitansagen im Radio mit meinem alten Wecker. Zwei Stunden vor dem bedeutsamen Augenblick verschloß ich die Haustür, legte den Schlüssel in ein meiner Frau bekanntes Versteck und begab mich mit dem Wecker hinters Haus. Der Kater konnte durch ein geöffnetes Fenster ins Haus gelangen. Ich hatte ihm reichlich Milch hingestellt. Der Himmel war leicht bewölkt. Im Südwesten – ich vermerkte es mit wissender Genugtuung – stand der zunehmende Mond, dann und wann von Wolkenschleiern überzogen. Der Stern, den er bei seiner Wanderung kurz vor Mitternacht für einen Moment verdecken würde, war mit bloßem Auge nicht zu erkennen.
Auf der Wiese wieder das gewohnte Bild: Der Nebel sammelte sich in flachen Senken; es sah aus, als wäre die Wiese mit einer Wasserlache überzogen, aus der vereinzelt Bäume und Sträucher herausragten. Eine reichliche Stunde noch. Ich saß auf dem Hocker, allem Irdischen entrückt. Peppi strich mir um die Füße. Er schnurrte, als meine Hand über sein Fell glitt. Ob sie auch ein Tier als Maskottchen bei sich hatten? Und wie würde es mit der Verständigung werden? Vielleicht besaßen sie ein Übersetzungsgerät? Sie werden viele Fragen stellen, Fragen, die für mich vermutlich schwer zu beantworten sein würden. Wie konnte ich ihnen zum Beispiel die Widersprüche auf diesem Planeten begreiflich machen, den Januskopf der Raketen etwa, die uns zu den Sternen tragen und uns vernichten konnten? Ich werde ihnen sagen: Die Erde ist schwarz und schmutzig, ihrem dunklen Schoß entspringen Nattern und Tauben… Es wäre ein poetisches Bild, doch leider erklärte es nichts, gar nichts. Wenn die Menschwerdung im Universum überall ähnlich verlief, woran ich nicht zweifelte, so waren sie über die Entwicklung auf der Erde vermutlich besser informiert als ich. Mir wurde auf einmal bewußt, wie mangelhaft meine Kenntnisse in vielen Dingen waren.
Noch neunundzwanzig Minuten bis Mitternacht. Der Mond war nicht mehr zu sehen; eine pechschwarze Wolke schirmte ihn ab. Nervös verließ ich meinen Sitzplatz, watete durch das Gras. Der Nebel hatte sich bis zum Haus ausgebreitet. Ich kam mir vor wie ein Passagier
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