Zeit der Sternschnuppen
unbändiges Verlangen, ihm alles zu erzählen. Wie reagierten Menschen auf eine Geschichte, die nicht in den Rahmen ihres Alltags hineinpaßte? Gies, der Landwirtschaftsexperte, erschien mir als ein ideales Studienobjekt.
»Du hast recht, Walter, ich war auf der Wiese«, sagte ich ernst, »ich hatte dort ein ungewöhnliches Erlebnis…«
»Aha«, er lächelte verständnisvoll, »Rita?«
»Laß das jetzt, ich meine es ernst. Auf der Wiese war ein Raumschiff gelandet, begreifst du, ein richtiges Raumschiff aus einem fremden Sonnensystem. Es sind keine zwanzig Minuten her, daß ich einer außerirdischen Intelligenz gegenüberstand.« Einen Moment sah er mich an, als habe er einen Verrückten vor sich. Lichtjahre trennten uns in diesen Sekunden. Dann platzte er heraus: »Ach, diese Herrschaften meinst du – die kenne ich, sie besuchen uns jedes Jahr um diese Zeit. Wir haben kooperative Zusammenarbeit vereinbart. Sie liefern uns Kraftfutter vom Mars, und wir bezahlen mit Kalbsschnitzeln.« Seine Antwort ließ mich kalt, wie hätte ich eine andere Reaktion erwarten können? Ich begriff mit einiger Wehmut, daß es mir so überall ergehen würde, wollte ich es wagen, jemandem von der Begegnung zu erzählen. Ein etwas bedrückendes Geheimnis – denn wie sollte ich es auf die Dauer für mich behalten? Durfte dieser Kontakt überhaupt meine Privatangelegenheit bleiben? Früher oder später würden sie möglicherweise offiziell in Erscheinung treten; in diesem Fall betrachteten sie mich vermutlich als erstes Bindeglied. Ich deutete auf mein Handgelenk, auf dem noch der Abdruck meiner Armbanduhr zu sehen war. »Sieh, Walter, du kanntest meine Uhr, die Elektric. Ich habe sie ihnen geschenkt…« Es wurde mir nicht einmal bewußt, wie untauglich mein Argument war.
Mit gespielter Verwunderung meinte er: »So kenne ich Rita eigentlich gar nicht. Sie hat die Uhr ohne weiteres angenommen? Unter uns, das finde ich unanständig. Seit wann läßt sie sich bezahlen?«
Seine hämischen Anspielungen auf eine Dorf schöne verstimmten mich. Ich gab es auf, ihn zu überzeugen, nahm den Sternenkalender aus dem Regal und versenkte mich in die Zahlenangaben über die Mondbedeckung. Gies erzählte von seinen Rindern und einem Stallneubau. Als er merkte, daß ich nicht zuhörte, grollte er: »Mußt du diesen Quatsch jetzt lesen? Zeige mir lieber die Venus in deinem Teleskop, sie steht jetzt genau über uns.«
»Das ist nicht die Venus«, brummte ich abwesend. Nach der Tabelle bedeckte der Mond in den nächsten Tagen eine ganze Anzahl Sterne. Ich ging die Namen durch und war befriedigt, als ich das Wort »Leo« entdeckte, die lateinische Bezeichnung für das Sternbild des Löwen. Am Siebzehnten wandert der Mond an einem dieser Sterne vorüber, acht Tage noch.
»Was ist los?« erkundigte sich Gies, als er mein zufriedenes Lächeln bemerkte. »Hast du was Wichtiges entdeckt?«
»Ja, ich weiß, wo der Mond am Siebzehnten stehen wird. Dieser Tag wird für mich der bedeutungsvollste in meinem ganzen Leben sein.«
»Ihr Intellektuellen müßt doch einen Knall haben«, bekam ich zur Antwort. »Wenn du wenigstens noch das Wetter voraussagen könntest… Habe ich dir schon erzählt, daß ich den ersten vollelektronischen Rinderstall hinstellen werde? Vierhundertfünfzig Tiere, mechanische Entmistung und Fütterung, Jaucheabfluß unterirdisch…«
Um dreiundzwanzig Uhr siebenundfünfzig und drei Sekunden begann die Bedeckung durch den Mond. Sie würden also wieder kurz nach Mitternacht landen. Der Gedanke daran erfaßte mich wie ein Rausch. In acht Tagen wirst du in ein Raumschiff steigen und vielleicht eine Erdumkreisung erleben. Was für ein Ereignis! Eigentlich konnte ich es niemandem verübeln, wenn er mein Erlebnis als Witz oder Hirngespinst auffaßte. Zwar konnte jeder Oberschüler heute eine Landung auf dem Mond oder Mars beschreiben – das lag im Bereich des Möglichen und Vorstellbaren, hierfür gab es Beispiele. Sich jedoch andere intelligente Wesen im Universum vorzustellen lag außerhalb aller Erfahrungen. Vermutlich hätte ich vor wenigen Tagen nicht viel anders reagiert als Gies. Was ich gesehen und erlebt hatte, schien ins Fabelreich zu gehören.
»Das Hauptproblem ist die Entmistung der Ställe«, belehrte Gies mich weiter. »Saubere Ställe – gesunde Tiere. In ein, zwei Jahren, mein Lieber, können wir jede Menge Rindfleisch exportieren.«
Sein Gerede erreichte mich nicht. Ich dachte: Sie werden sich bestimmt nicht von Gulasch oder
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