Zeit der Sternschnuppen
sah aus wie Karl Marx in den Jugendjahren. Es war das einzige Merkmal, das ihn mit jenem verband.
Theo, von Beruf Photograph, assistierte, erwies sich dabei bemerkenswert zechfreudig, füllte die Gläser immer wieder nach. Ich hatte einigemal auf Ausstellungen mit ihm zusammengearbeitet. Vor Jahresfrist hatte er mit meinem Fernrohr ein paar gelungene Mondaufnahmen geschossen. Es gab einige gemeinsame Hobbys, die uns verbanden. Als er mich bemerkte, lächelte er verzückt. Sein größter Wunsch, offenbarte er mir, sei es, heute noch auf einen Baum zu klettern. – Die ersten Kobolde waren bereits aus der geöffneten Flasche gekrochen.
Das mit Leckereien gefüllte Spanferkel sah bemitleidenswert aus. Über eine Stunde hatten sich die beiden abgemüht, den Braten zuzubereiten. Was für ein Aufwand an Arbeit, um für eine Nacht auf das Niveau von Steinzeitmenschen herabzusinken! Der Bart reichte mir ein Schnapsglas. »Es kann losgehen«, sagte er zufrieden, »von diesem Spanferkel werden noch Generationen schwärmen. Im feinsten Restaurant bekommst du nichts Besseres, Prost.«
Ich stellte das Glas zurück, gab vor, kein Verlangen nach Alkohol zu haben. Der Bart sah mich besorgt an. »Du bist doch nicht etwa krank?«
»Nein«, sagte ich, »laßt euch durch mich die gute Laune nicht verderben. Mir geht es ausgezeichnet, ich mag nur das scharfe Zeug nicht.«
Theo gab einen Knurrlaut von sich. »Hast du gehört, Onkel Bart? Zeug hat er gesagt, Zeug zu diesem Götterfunken! Er muß krank sein.«
Der Kellner nickte. »Er kam mir gleich so seltsam vor«, frotzelte er, »vielleicht hat er Liebeskummer?«
Sie tranken auf meine Gesundheit und trugen dann feierlich das Spanferkel hinaus, um es auf den Grill zu legen.
Ich hatte keinen Sinn für ihre Späße, hörte die Traktoren und die Heuwagen auf der Wiese. Noch nicht einmal die Hälfte war gemäht. Regnen müßte es jetzt, in Strömen gießen. Konnte es nicht sein, daß die Fremden über den Wolken standen und alles beobachteten?
Von draußen drang Gelächter herein. Hein schöpfte aus seinem unerschöpflichen Vorrat an Witzen. Dann erzählte auch der Bart einen Witz, schlüpfrig wie alles, was er hervorbrachte. Ich fühlte mich ausgeschlossen, dachte: Warum eigentlich? Änderte meine Zurückhaltung etwas an meiner fehlgeschlagenen Hoffnung? Auf dem Tisch stand die angebrochene Flasche. Vielleicht ist das der Schlüssel, wenigstens für eine Nacht einmal alles abzuschütteln?
Es war gut, daß ich allein war, es brauchte niemand zu sehen. Ich trank, leerte das Glas mit einem Zug, füllte es gleich noch einmal. Die Gelegenheit, die Narrenkappe überzustülpen, war günstig; aus dem dritten Glas kroch bereits der Schalk. Vom großen Verführer Alkohol berührt, sprangen meine Gedanken im Zickzack, schossen Purzelbäume. Unmotiviert fing ich an zu grinsen, dachte an meine Freunde über der Wolkendecke, deren Nähe mir immer mehr zur Gewißheit wurde. Ob sie auch Frauen an Bord hatten? Dumme Frage, sie mußten sich schließlich vermehren. Oder gab es auch andere Möglichkeiten für die Erhaltung und Vermehrung der Arten? Im Mikrokosmos vermehrten sich zum Beispiel die Protozoen völlig ungeschlechtlich. Sie können in so ungeheuren Mengen auftreten, daß das Wasser durch sie trübe wird. Dabei ist es bis heute noch nicht geklärt, ob man sie dem Tier- oder Pflanzenreich zuordnen muß und ob sie weiblichen oder männlichen Geschlechtes sind…
Theo kam herein. »Was ist los?« erkundigte er sich. »Warum kommst du nicht zu uns ‘raus?«
»Hast du zufällig eine Ahnung, welchem Geschlecht die Protozoen angehören?«
Er klopfte mir auf die Schulter. »Ich sehe, du bist im Kommen, alter Junge. Natürlich sind die Protozoen sachlicher Natur. Ich würde sie als eine Art kosmischer Influenza bezeichnen. Schade, daß es bedeckt ist, ich würde gern Saturn betrachten. Übrigens sollen wieder fliegende Untertassen beobachtet worden sein.«
»Wo?« erkundigte ich mich und gab mir Mühe, meine wachsende Erregung zu verbergen.
»Irgendwo über Afrika…«
»Du glaubst doch nicht etwa an diese Spinnereien, Theo?«
»Natürlich nicht«, sagte er überzeugt, »Sensationshascherei, wahrscheinlich wieder ein Kugelblitz oder was Ähnliches. Was macht dein Plakat?«
»Ich bin noch nicht fertig.«
Über Afrika – was trieben sie dort? Es gab für mich nicht den geringsten Zweifel, daß die Nachricht stimmte. Theo erzählte mir von seinem vergeblichen Versuch, einen Baum zu besteigen. Ich hörte
Weitere Kostenlose Bücher