Zeit der Sternschnuppen
sie mir glaubten oder nicht glaubten. Mein Erlebnis, mir selbst nur noch in traumhafter Erinnerung, paßte in diesen Abend. Es war genauso verrückt wie wir alle in dieser Stunde; Bilder in einem Zerrspiegel, die sich grotesk aneinanderreihten. Ich redete so überzeugt, daß mich niemand unterbrach, erlebte meine eigene Geschichte ein zweites Mal.
Als ich am Ende war und erregt schwieg, war es der Filmmensch, der mich boshaft aus meinem Traum aufschreckte. Gelassen meinte Hein: »Ich finde deine Geschichte gut, du solltest sie weiterbearbeiten, vielleicht als Film. Oder auch als Operette: ›Frau Luna auf modern‹ – setze dich mit einem Komponisten in Verbindung.«
In meinem Schädel brummte es, als umschwärmten mich Bienenvölker. »Wenn sie doch kämen«, stöhnte ich, »diesen Triumph möchte ich erleben. Aber ich wußte es, in eurem trivialen Dasein ist kein Raum für Ungewöhnliches. Ich hätte mir also alles nur aus den Fingern gesogen. Gut, lassen wir es dabei…«
»Sei lieb, Franziskus, mir hat deine Geschichte gefallen«, tröstete mich Regina, »reg dich nicht über diese Kunstbanausen auf. Hattest du eigentlich keine Angst, nachts allein über die Wiese zu gehen?«
Ich raffte mich noch einmal auf. »Ihr Blinden, ihr Ahnungslosen, ich schwöre, daß ich die Wahrheit gesagt habe!« rief ich mit einer Stimme, als gelte es, Heiden zum wahren Glauben zu bekehren.
»In Büchern habe ich schon ähnliches gelesen«, meinte Mümmelchen. »Nur deine drei kleinen Raumfahrer gefallen mir nicht. Sie sollten Krakenarme haben und große Eierköpfe. Ich habe einen Film gesehen, darin tauchten auch Leute vom anderen Stern auf. Die sahen interessant aus, wie dein vollgefressener Kater, bloß viel größer. Im Bauch hatten sie ein elektronisches Gerät – richtige Untermenschen…«
Der Alkohol hatte ihren Verstand getrübt, Sternenweite trennte mich von ihr und den anderen. Hein stritt mit Erhard über filmische Darstellungsprobleme. Dann mischte sich der Bart ein, alles redete durcheinander, niemand verstand mehr sein eigenes Wort. Pudowkin, Eisenstein, Pop und Op, nackt oder nicht nackt – die Worte stoben wie Funken. Meine Geschichte, die wichtigste Sache der Welt, schien vergessen.
Ich nahm einen Schluck aus der Flasche, kämpfte gegen aufkommende Zweifel an, sah, wie sich die Apothekerin mit dem Gras unterhielt. Erst später bemerkte ich, daß es der Dackel war, dem sie Kunststücke beibringen wollte. Ob ich ihnen nicht die Abdrücke auf der Wiese zeigen sollte? Aber selbst dieser magere Beweis war nicht mehr vorhanden. Die Traktoristen hatten längst alles eingeebnet. Ich warf mich in den Liegestuhl, verzauberte alle in Gedanken in Wildschweine und Kaninchen.
Regina kam zu mir, sagte ernst und gewichtig: »Weißt du, Franziskus, ich glaube dich zu verstehen. Du suchst nach einer Allegorie für deine Arbeit. Gut und schön, Plakat, Welt von morgen und so weiter, aber wo ist die Beziehung zu heute? Ein Stern von Bethlehem nützt uns heute nichts mehr. Ich bin etwas beschwipst, das gebe ich zu. Trotzdem sehe ich klarer als alle in diesem Kreis. Darum sage ich dir: Wenn wir nicht mit den Problemen unseres gegenwärtigen Lebens fertig werden, dann erleben wir die Welt von morgen nicht mehr…«
Was will sie von mir, dachte ich befremdet, warum agitiert sie mich? Am Bratrost verkündete Erhard lautstark das Ende der Bratenzeit. Es war ein Zaubersatz, die Diskussionen verstummten augenblicklich. Der Bart zersäbelte den Braten, Mümmelchen holte Weißbrot aus der Küche, Theo hatte ein Glas Delikateßgurken entdeckt. Ich vergaß meine Probleme, füllte als Gastgeber die Teller. Wir schluckten, kauten und schmatzten, fühlten uns in die Steinzeit zurückversetzt.
»Herrgott, ist das schön«, stöhnte der Bart hingegeben. »Es war schon immer mein Wunsch gewesen, einmal zu fressen und zu saufen wie die alten Germanen und die Reste den Präriehunden zuzuwerfen.«
Er schleuderte den halb abgenagten Knochen über die Schulter. Theos Dackel, der »Präriehund«, wußte nicht, wohin er zuerst rennen sollte. Von allen Seiten flogen ihm Knochen und Fleischreste zu. Waldi grunzte vor Behagen.
Wir verzehrten das Spanferkel mit Andacht und Besinnlichkeit. Alle Meinungsverschiedenheiten waren vergessen, der Braten, das frische Weißbrot und die Gurken vereinten uns zu Gleichgesinnten. Erhard wünschte den Schleiertanz der Bajaderen und ernannte sich zum Scheich von Nedschd. Nach den Klängen der Radiomusik tanzten Hein und Theo
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