Zeit der Sternschnuppen
holen. Erhard schürte die Glut, legte neues Holz nach. Von der Robinie schrie Theo um Hilfe; er käme allein nicht herunter.
Ich nahm Regina den Hasen ab, trug ihn zum Waldrand und ließ das verängstigte Tier laufen. Der Bart kam mit dem Küchenmesser zurück, grollte und lamentierte, nannte mich einen idealistischen Idioten und führte uns vor Augen, auf was für ein lukullisches Mahl wir nun Verzicht leisten mußten, erzählte von Hasenrücken in Joghurt mit Champignons und Speck.
»So ein Hase muß wenigstens eine Woche hängen«, meinte Mümmelchen, »frisch schmeckt er nicht.«
»Drei Tage reichen auch«, erklärte Erhard.
»Einen Tag soll er kühl gelagert werden«, wußte Hein aus dem Kochbuch. Regina war überzeugt, daß der Hase kein Hase, sondern nur ein Kaninchen gewesen sei.
Was für Probleme! Der Bart hörte nicht auf zu jammern. Theo stieß Klagelaute aus, hing im Geäst wie ein Pavian. Erhard erbarmte sich seiner, half ihm herunter.
»Die Erde hat mich wieder!« rief Theo glücklich. »Melde mich vom Ausguck zurück, keine Raumfahrer gesichtet!«
Ein greller Blitz erleuchtete unsere unmittelbare Umgebung. Sekunden später fielen die ersten Tropfen. Im Feuer zischte es. Unsere Party im Freien fand ihr Ende.
Wir waren vor dem stärker werdenden Regen ins Haus geflüchtet. Nur Waldi, der Dackel, blieb draußen. Der »Präriehund« war eher bereit, in einem Ozean von Regen zu ersaufen, als sich von seinen Fleischresten zu trennen.
Regina ließ sich ihre Kratzwunden von Hein behandeln, der außer Jod und Pflaster auch geheimnisvolle Beschwörungen verwendete. »Siehe, meine Freundin«, brabbelte er, »du bist schön. Deine Augen sind wie Taubenaugen zwischen deinen Zöpfen; dein Haar ist wie eine Herde Ziegen, die gelagert sind am Berge Gilead herab. Deine zween Brüste sind wie Rehzwillinge, die unter Rosen weiden…«
»Gilgamesch, du hast einen mittelschweren Sonnenstich«, kicherte Regina und füllte sich ein Glas mit Wodka. Die Wirkung trat wenig später ein; ihr wurde übel, sie verlangte nach einer Ruhestätte. Ich brachte sie auf den Dachboden, stellte vorsichtshalber einen Wassereimer neben das Feldbett.
Erhard hatte Kerzen angezündet; sie verbreiteten eine anheimelnde Stimmung. Der Regen trommelte gegen die Fenster, begleitet von knallharten Donnerschlägen. Wir pafften, tranken und schwatzten, sprangen wieder von einem Thema ins andere, redeten aneinander vorbei, entschieden über das Schicksal der Menschheit. Schließlich warf Erhard die wichtige Frage auf, ob der Mann monogam oder polygam veranlagt sei, ein Thema, das uns geraume Zeit beschäftigte.
Der Alkohol heizte unsere Phantasie an, öffnete das Witzkästlein der schlüpfrigen Heiterkeit; die Stubenwände schimmerten rosa. Bald hatten der Bart und Mümmelchen ihre eigenen Probleme. Sie verschwanden unauffällig in einem Nebenraum. Hein, Theo und Erhard blieben standhaft. Wenn sie gähnten, so taten sie es verstohlen. Es war kurz nach Mitternacht.
Im Gegensatz zu ihnen hatten mich die Getränke angeregt. Ich fühlte mich unternehmungslustig, die vorausgegangene Unterhaltung regte mich zu phantastischen Spekulationen an. Darum hielt ich ihnen einen Vortrag über ein physikalisches Problem, von dem ich nichts verstand. Ich entwickelte Überlichtgeschwindigkeit und Phasensprünge, schleuderte Tachyonen und Antiprotonen heraus, annihilierte Kraftfelder und erzeugte die Spektralinterferenz. Erhard hielt sich nur noch mit Mühe wach, klopfte gegen die Glasscheibe des Barometers, Hein hatte die Augen weit aufgerissen, tat, als lausche er aufmerksam. Theo, der gar nicht zuhörte, erlaubte sich ab und zu eine Zwischenbemerkung: »Aber eine Rastpause müssen wir einlegen, spätestens beim Rasselbock, das ist gleich hinterm Steinbock…«
Hein entschuldigte sich. Er wollte nur mal auf eine Minute hinausgehen. Als er nicht wiederkam, erbot sich Erhard, ihn zu suchen. Auch er blieb verschollen. Nur Theo blieb bei mir, schwor mit matter Stimme, noch einmal auf die Robinie klettern zu wollen.
Ich ging nach nebenan, kontrollierte die müden Krieger. Die Kerzen brannten nicht mehr, aus der Ecke kamen Schnarchtöne; selbst Mümmelchen und Bart befanden sich im Nirwana. Auf dem Feldbett unterm Dach ruhte Regina, bleich wie die Venus von Milo. Die Helden der Steinzeit schliefen und träumten. Die Restauration der Vergangenheit war zu anstrengend gewesen.
Theo ächzte noch immer, hielt sich mit letzter Kraft wach, versicherte, nicht eher das Feld
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