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Zeit der Sternschnuppen

Zeit der Sternschnuppen

Titel: Zeit der Sternschnuppen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Herbert Ziergiebel
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Jahrzehnte zurückliegen?«
»Alles, was der Mensch einmal bewußt oder unbewußt wahrgenommen hat, bleibt ihm erhalten, auch wenn er sich nicht sogleich daran zu erinnern vermag. Man kann dieses Erinnerungsvermögen aufschließen und freilegen – und das haben wir getan.«
Ihr vertraulicher Ton versöhnte mich ein wenig mit diesem sonderbaren Diebstahl. Schließlich hatten sie ein Recht zu wissen, mit wem sie es zu tun haben. Außerdem war ich für sie wohl eine Art Steinzeitmensch… Erleichtert fragte ich: »Demnach befinden wir uns jetzt tatsächlich im All? Darf ich erfahren, wo wir uns im Augenblick aufhalten – ich meine, welchen Kontinent wir gerade überqueren…«
»Wir sind in Erdnähe«, antwortete sie. »Möchtest du sie sehen?«
Ich nickte beklommen. In Erdnähe – es kam so selbstverständlich heraus, als befänden wir uns im Auto kurz vor Dresden. Aul tastete abermals an der Wandung. Ich trat einen Schritt zurück, als sich in diesem Augenblick das Kuppelgewölbe öffnete. Gebannt blickte ich auf den größer werdenden Spalt.
Im ersten Augenblick hatte ich das Empfinden, mich in einem Planetarium aufzuhalten. Vor mir auf samtschwarzem Hintergrund, zum Greifen nahe, schwebten Himmelskörper von unterschiedlicher Größe. Ich trat näher, griff in den Kuppelspalt. Meine Hand stieß gegen Glas oder ähnliches. Hinter dieser durchsichtigen Materie spielte sich ein eindrucksvolles astronomisches Spektakulum ab, das mich mit Bewunderung und Schaudern erfüllte. Keine Spur war von der Erde zu entdecken. Dafür schwebte in einiger Entfernung ein anderer Planet, groß wie ein Medizinball. Wie vertraut war mir sein Anblick, wie oft hatte ich ihn im Fernrohr beobachtet. Es war Jupiter mit seinen vielen Monden. Fassungslos sagte ich: »Sie sagten mir eben, wir befänden uns in Erdnähe – aber das ist Jupiter!«
»Ja«, sagte sie, »und dort, der gelbe Stern unter ›Alphaherz‹, das ist eure Sonne. In ihrer Nähe kreist die Erde. Ich werde sie dir später im Teleskop zeigen. Im Augenblick befindet sie sich im Apogäum und wird vom Sonnenlicht überschattet.«
Vom Sonnenlicht überschattet – so reizvoll dieses Wortspiel war, jetzt hatte ich keinen Sinn dafür. Jupiter befand sich über sechshundert Millionen Kilometer von der Erde entfernt, zu diesem Zeitpunkt wahrscheinlich sogar achthundert Millionen Kilometer. Das nannte sie »in Erdnähe« – was für Entfernungsvorstellungen hatten diese Leute? Ich starrte auf die imaginäre Geisterwelt, von widerstrebenden Empfindungen aufgewühlt. Auf der Erde gab es kein Raumschiff, das sich in die Nähe dieses Riesenplaneten hätte wagen können. Selbst eine unbemannte Sonde brauchte für den Hinflug drei bis vier Jahre. Wie lange war ich von Manik Maya weg?
Das faszinierende Schauspiel hinter dem Kuppelspalt wurde mir zu einer beängstigenden Kulisse. »Wie lange bin ich jetzt hier?« stieß ich hervor. »Wie viele Tage sind seit meinem Einstieg vergangen – ich meine irdische Tage?«
Aul dachte angestrengt nach und antwortete dann: »Es sind umgerechnet genau zwei irdische Monate, eine Woche und zwei Tage vergangen.«
Sie sagte das so liebenswürdig, als bereite sie mir eine große Freude. Mehr als zwei Monate! Es traf mich wie eine eisige Welle. Warum nicht gleich zweitausend Jahre! Mein bisheriges Leben war nicht gerade arm an Enttäuschungen gewesen, ich hatte gelernt, mich mit unwiderruflichen Entscheidungen abzufinden. Als mir jetzt jedoch die Konsequenzen meiner Lage bewußt wurden, war ich nahe daran, die Selbstbeherrschung zu verlieren. Es ging ja nicht nur um mich. Ich war davongegangen, ohne eine Zeile zu hinterlassen. Wie hatte es Johanna ertragen?
Als die ersten Schrecksekunden vorüber waren, hatte ich mich fatalistisch ins Unvermeidliche gefügt. Die Zeit ließ sich nicht zurückdrehen. Aber was hatten sie mit mir vor? Wann gedachte dieser Kommandant mit dem sonderbaren Namen »Me«, mich zurückzubringen? Ich fragte Aul. Sie antwortete: »Ich weiß es nicht. Bestimmt wirst du zurückgebracht werden, wenn es dein Wunsch ist. Im Augenblick bereitet man allerdings den Abflug vom Raumschiff vor. Wir werden zum sechsten Mond fliegen, es wird dir dort gefallen.«
»Gewiß«, murmelte ich, »wenn ich schon einmal hier bin, kommt es auf ein paar Tage auch nicht mehr an. Kann man denn auf diesem sechsten Mond leben? Es muß doch dort lausig kalt sein.«
»Im Gegenteil, es ist so warm, wie du es dir wünschst«, versicherte Aul ernsthaft. »Der sechste

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