Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Zeit der Sternschnuppen

Zeit der Sternschnuppen

Titel: Zeit der Sternschnuppen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Herbert Ziergiebel
Vom Netzwerk:
dem Nichts gekommen.
    Weit mehr als dieses Phänomen brachte mich das Äußere des Mädchens in Verwirrung. Stünde ein Wesen vor mir, etwa so, wie ich meine drei kleinen Freunde von der Wiese in Erinnerung hatte – meinetwegen auch Mümmelchens Phantasie entsprechend mit Krakenarmen und einem Eierkopf, Hörnern oder anderen Verunstaltungen –, es hätte mich weit weniger aus der Fassung gebracht. Ich war auf Ungewöhnliches vorbereitet.
    Vor mir jedoch stand ein Mensch, eine Gestalt, die eine Zweitausgabe der »Lollo« hätte sein können. Nur ihr Haar war dunkler und länger; sie trug es glatt nach hinten gekämmt. Ihre Augen waren ungewöhnlich groß und hellblau, das Gesicht war wie von einem Maler geschaffen. Lieber Himmel, dachte ich, du hast bereits Halluzinationen. Ich kniff mich verstohlen in den Oberschenkel. Das Mädchen war etwa von meiner Größe und konnte nicht älter als neunzehn oder zwanzig Jahre sein. Ein orangefarbenes Trikot hob ihre untadelige Figur hervor.
    Sekunden, die mir endlos erschienen, verstrichen, ohne daß ein Wort gesprochen wurde. Ihr Lächeln konsternierte mich. Ich machte wohl kein sehr geistreiches Gesicht, dachte: Sie wird deine Sprache nicht verstehen. Ich hatte das Empfinden, als amüsierte sie meine Verwirrung. Dann sagte sie auf einmal sehr freundlich: »Willkommen auf der ›Quil‹. Ich heiße Aul. Me, der Kommandant der ›Quil‹, hat mich beauftragt, an deiner Seite zu bleiben, deine Fragen zu beantworten und jeden deiner Wünsche zu erfüllen.«
    Sie hatte mich in meiner Sprache angeredet, kaum ein Akzent war herauszuhören. Beim Klang ihrer Stimme kam mir ein Verdacht, der mich unsicher machte. Befanden wir uns wirklich im Kosmos? Bis jetzt hatte ich nichts von einer Fortbewegung verspürt und auch noch keinen Stern gesehen. Nun gar dieses bezaubernde Geschöpf vor mir, das so perfekt meine Sprache beherrschte. Ihr ganz und gar irdisches Äußere bestärkte meinen Verdacht, auf eine Eulenspiegelei hereingefallen zu sein. Standen wir gar noch auf der Wiese, draußen meine bezechten Gäste?
    Ich beschloß, vorsichtig zu sein, bemerkte mit Ironie: »Vielen Dank für Ihre Gastfreundschaft. Ich habe in der Tat viele Fragen und Wünsche. Sie beherrschen meine Sprache ausgezeichnet – wo haben Sie studiert?«
    Es fiel mir angenehm auf, daß sie Grübchen hatte, wenn sie lächelte. »Ich habe deine Sprache von dir gelernt. Es dauerte nur eine viertel Quartine, denn dein Kopf ist fast leer…« Mein verdutztes Gesicht belustigte sie.
    »Fast sieben Zehntel deines Gehirns sind noch unberührt«, klärte sie mich auf, »dennoch habe ich viel gelernt.«
Ich ging auf den sonderbaren Scherz ein, erwiderte: »Es schmeichelt mir, daß Sie aus meinem leeren Kopf noch etwas entnehmen konnten. Es war schon immer mein Wunsch gewesen, ein so hübsches Mädchen zu unterrichten…«
»Oh, bin ich hübsch?« sprudelte sie hervor. »Ich gefalle dir? Sag, sehe ich den Weibern auf der Erde ähnlich?«
Die Unterhaltung fing an, mir Spaß zu machen. »Haben Sie die Verstellungskünste auch von mir erlernt?«
Aul machte ein bestürztes Gesicht. »Du glaubst mir nicht? Ich werde es dir beweisen…« Sie trat an die Wandung, tastete eine Stelle ab. Gleich darauf wurde eine Stimme vernehmbar. Die Stimme sagte langsam und akzentuiert das Alphabet auf und kommentierte dann: »Aus diesen Buchstaben bilden wir die Wörter. Wir unterscheiden Vokale und Konsonanten…« Aul hatte den Ton unterbrochen. Die Worte schienen mir vertraut, doch wo hatte ich sie schon einmal gehört? Nach einigen Sekunden kam die Stimme wieder, sagte: »Wir erhalten es durch Züchtung verschiedener Tiere, zum Beispiel Rinder, Ochsen, Pferde, Schweine, Schafe, Ziegen, Kaninchen, Hühner…« In diesem Augenblick schloß sich die Kette meiner Erinnerungen. Mein Traum, meine Stimme. Dunkel stieg eine Ahnung in mir auf. Sie mußten mich mit raffinierten Methoden im Schlaf ausgehorcht haben. Und ihre Sprachkenntnisse? Wie ließ sich eine Sprache so schnell erlernen?
Aul sagte: »Wir lagen nebeneinander, als ich deine Sprache erlernte. Winzige Ströme verbanden uns, so erhielt ich eine Kopie deines Wissens. Ich weiß alles von dir, aber ich möchte noch anderes von dir lernen.«
Die Vorstellung, neben ihr gelegen zu haben, war mir nicht unsympathisch, doch der Gedanke, daß sie nun auch meine geheimsten Erinnerungen kannte, war weniger angenehm. »Ich begreife nur eines nicht«, sagte ich, »wie konnte ich von Dingen erzählen, die

Weitere Kostenlose Bücher